"Reportage, Gesprächsprotokoll, Reisebericht - und große Literatur"

Erich-Loest-Preis 2025 an Ronya Othmann verliehen.

Leipzig, der 24. Februar 2025. Die Schriftstellerin und Journalistin Ronya Othmann ist am heutigen Abend - dem 99. Geburtstag Erich Loests - mit dem Erich-Loest-Preis 2025 ausgezeichnet worden. Der von der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig 2017 im Andenken an den 2013 verstorbenen Leipziger Schriftsteller und Ehrenbürger Erich Loest ins Leben gerufene Preis ist mit 10.000 Euro dotiert und wird alle zwei Jahre vergeben. Die inzwischen fünfte Preisverleihung fand am Sitz der Stiftung am Mediencampus Villa Ida in Leipzig statt (Die vollständige Aufzeichnung der Preisverleihung finden Sie hier).

"Der Erich-Loest-Preis erinnert an einen Schriftsteller, dessen Wirken untrennbar mit unserer Stadt verbunden ist: an einen wachen Chronisten, einen unermüdlichen Mahner und einen Leipziger durch und durch", erklärte Dr. Harald Langenfeld, Vorstandsvorsitzender der Medienstiftung und der Sparkasse Leipzig, in seiner Begrüßungsrede. "Unsere diesjährige Preisträgerin Ronya Othmann steht mit ihrem Schreiben in einer Tradition, die den literarischen Blick auf das Zeitgeschehen als einen Akt des Erinnerns und des Zeugnisses begreift - ganz im Sinne Erich Loests", so Langenfeld weiter (Grußwort von Dr. Harald Langenfeld zur Erich-Loest-Preisverleihung 2025).

Der Preis wurde Othmann insbesondere für ihren 2024 erschienenen Roman Vierundsiebzig zugesprochen, in dem sie den versuchten Genozid der Terrororganisation Islamischer Staat an den Jesiden aus dem Jahr 2014 literarisch verarbeitet. In ihrer Laudatio würdigte Dr. Julia Encke, Leiterin Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, die diesjährige Loest-Preisträgerin: "Roman steht auf dem Buchcover von 'Vierundsiebzig'. […] Othmann nähert sich der kaum zu ertragenden Realität des Genozids ohne Fiktionalisierung. Sie besucht die Orte der Massaker, die Flüchtlingscamps, die Gedenkstätten. Sie erspart uns nichts. […] Sie wird also zur Dokumentaristin. Indem sie Reportage, Gesprächsprotokoll und Reisebericht mit essayistischen, historischen, autobiographischen Einschüben vermischt, ordnet sie auch ein, schafft Kontexte. Vor allem aber zieht sie eine Metaebene ein, ein Sprechen und Schreiben über das, was sie sieht und beobachtet. Es ist diese Ebene, die ihr Werk zu großer Literatur macht." (Laudatio von Dr. Julia Encke zur Erich-Loest-Preisverleihung 2025).

Preisträgerin Ronya Othmann dankte Stiftung und Jury für die Zuerkennung des Erich-Loest-Preises: "Ebenso wie Reaktionen von Leserinnen und Lesern sind es Würdigungen wie dieser Preis, die mir verdeutlichen, dass meine Worte, die Geschichten, die ich weitererzähle, nicht ungehört verhallen. Das gibt Ansporn, auch weiterhin genau hinzuhören, genau hinzusehen und aufzuschreiben, was ich höre und erlebe." (Dankesrede von Ronya Othmann zur Erich-Loest-Preisverleihung 2025).

Die Jury unter Vorsitz von Andreas Platthaus, Chef des Ressorts Literatur und literarisches Leben der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, hatte ihre Wahl für Ronya Othmann im Spätsommer vergangenen Jahres begründet, sie habe mit ihrem Roman dem "Völkermord an der ethnisch-religiösen Minderheit der Jesiden im kurdischen Irak (2014) ein großes literarisches Denkmal gesetzt, das zugleich eine sehr persönliche Suche nach Herkunft und kultureller Identität ist, die wiederum zentrale Fragen unserer Gegenwart berührt."

"Mit Ronya Othmann hat unsere Preis-Jury eine junge literarische Stimme ausgewählt, die aus der eigenen Biografie heraus weltpolitische Ereignisse in eine literarische Form gießt und damit gegen das Vergessen eines Völkermords anschreibt", hatte Stephan Seeger, Geschäftsführender Vorstand der Medienstiftung und Direktor Stiftungen der Sparkasse Leipzig anlässlich des Jury-Votums gesagt. "Ich danke der Jury für ihre hervorragende Wahl und gratuliere Ronya Othmann sehr herzlich: Sie ist ein würdiges Mitglied in den Reihen unserer Preisträgerinnen und Preisträger."

Zur Jury:

  • Andreas Platthaus (Juryvorsitz; Chef des Ressorts Literatur und literarisches Leben der Frankfurter Allgemeinen Zeitung)
  • Linde Rotta (freie Schriftstellerin)
  • Ines Geipel (Schriftstellerin und Professorin für Verskunst an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ sowie Erich-Loest-Preisträgerin 2023)
  • Dr. Katrin Schumacher (Redaktionsleiterin Literatur, Film, Bühne bei MDR Kultur)
  • Prof. Dr. Jobst Welge (Professor für Romanische Literaturwissenschaft an der Universität Leipzig)

Zur Preisträgerin:

Ronya Othmann, geboren 1993 in München, wuchs als Tochter eines kurdisch-jesidischen Vaters und einer deutschen Mutter im Landkreis Freising auf. Othmanns Kindheit und Jugend waren von Reisen zu ihrer väterlichen Familie in einem jesidischen Dorf im Norden Syriens geprägt, welches später nicht mehr existierte. Nach dem Abitur begann Othmann 2012 eine Ausbildung am International Munich Art Lab und am Schweizer Literaturinstitut der Hochschule der Künste in Biel. Ab 2014 studierte sie am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig und organisierte hier die Kurdischen Filmtage 2015.

Othmann schreibt insbesondere Prosa, Gedichte und Essays. Ihre literarischen Arbeiten setzen sich unter anderem mit Themen wie Migration, Heimat und Krieg auseinander. 2020 erschien im Hanser Verlag ihr Debütroman Die Sommer, der anhand einer Familiengeschichte den Bürgerkrieg in Syrien und die Ermordung der Jesiden durch den Islamischen Staat reflektiert. In ihrem ersten Gedichtband die verbrechen (2021) bezieht sich Othmann auf ein "müdes, müdes Land", das von der Rezeption als Kurdistan identifiziert wurde. Geschichtliche und ideologische Spuren eines Jahrhunderts verwebt sie darin mit den Erinnerungen eines lyrischen Ichs. 2024 erschien der Roman Vierundsiebzig. Daneben veröffentlichte Othmann auch journalistische Texte, darunter für Der Spiegel oder taz. Seit März 2021 schreibt sie für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung die Kolumne "Import Export". Für die Leipziger Volkszeitung ist Othmann seit Mai 2021 als eine von acht Autoren für die Kolumne "Leipziger Stimmen" verantwortlich.

Zum Preis:

Der mit 10.000 Euro dotierte Preis wird von der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig im Andenken an den Schriftsteller Erich Loest alle zwei Jahre vergeben. Erich Loest war den Stiftungen der Sparkasse zeitlebens eng verbunden: als Gründungsmitglied der Medienstiftung und als Mäzen der Kultur- und Umweltstiftung, der er seinen literarischen Nachlass übereignete. Der Preis würdigt Autoren, die die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in Deutschland nicht nur beschreiben, sondern mit ihrer Stimme den demokratischen Diskurs mitgestalten. Zudem sollen die Preisträger dem mitteldeutschen Raum verbunden sein. Bisherige Preisträger waren Guntram Vesper (2017), Hans Joachim Schädlich (2019), Ulrike Almut Sandig (2021) und Ines Geipel (2023).


Preisträger:
2025 - Erich-Loest-Preis