Ambassador of the French Republic in Germany.
This speech is only available in German.
Es gilt das gesprochene Wort.
Leipzig, 8.10.2012.
Es ist mir eine hohe Ehre und eine große Freude, als Vertreter
Frankreichs und als erster ausländischer Gastredner bei dieser
Veranstaltung anlässlich der Verleihung des “Preises für Freiheit und
Zukunft der Medien” 2012 das Wort ergreifen zu dürfen. Die Medien- und
Pressefreiheit ist ja ein Prinzip, das wir, Franzosen und Deutsche, als
einen Kardinalwert der freiheitlich-demokratischen Grundordnung
betrachten. Dementsprechend neigen wir oft dazu, die Pressefreiheit für
ein ein für alle Mal errungenes Grundrecht zu halten. So ist es leider
nicht. Diese Grundfreiheiten haben auch eine Geschichte, die in jedem
Land anders aussieht und großen Einfluss hat auf das, was man unter
einem Begriff versteht, etwa dem Begriff der Pressefreiheit.
Ein Punkt, den man hier gleich erwähnen sollte, ist, dass wir Franzosen stolz darauf sind, das Stammland der ersten Zeitung im modernen Sinne des Wortes zu sein, der Gazette, die im 17. Jahrhundert, 1631, von Theophraste Renaudot gegründet wurde. Auch in Deutschland und vor allem in Leipzig hat der Begriff Pressefreiheit eine ganz besondere Resonanz. Denn genau in den Jahren, als Renaudot die Gazette gründete, wurde die Leipziger Buchmesse zur größten Messe ihrer Art im deutschsprachigen Raum; sie bekräftigte damit den Status dieser Stadt als Ort der Meinungs- und Ausdrucksfreiheit, als Ort des Austauschs und der Kultur. Ich möchte fast sagen, Leipzig war als Stadt der ersten Tageszeitung überhaupt geradezu prädestiniert, die Fahne der Pressefreiheit immer hochzuhalten. Damals gab es zwar keine Zeitungen, aber es gab diese Tradition der barocken Flugblätter, die einen wesentlichen Beitrag zur Entstehung der öffentlichen Meinung in Deutschland leisteten. Und Leipzig stand im Mittelpunkt dieses Prozesses. Es fällt nicht schwer, eine Brücke zu schlagen von den barocken Ursprüngen dieser freiheitlichen Tradition bis hin zur “Friedlichen Revolution” von 1989, die ebenfalls Meinungs- und Ausdrucksfreiheit verlangte. Diese Tradition war immer eine Tradition des Kampfes für mehr Freiheit: Hier mehr als anderswo weiß man, dass die Pressefreiheit leider nie ein für alle mal errungen ist.
Im Folgenden möchte ich eine Standortbestimmung versuchen: Ich glaube, wir können eine spezifische deutsch-französische Einstellung zur Pressefreiheit finden, die sich aus der engen Verflechtung unserer Nationalgeschichten ergibt. Wie Sie wissen, befinden wir uns in den ersten Wochen des Deutsch-Französischen Jahres anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des Elysée-Vertrages, der unsere Aussöhnung besiegelt hat. Diese Veranstaltungsreihe dreht sich um die Rückbesinnung auf die Anfänge unserer Partnerschaft in den Jahren 1962 und 1963. Wir wollen uns klare Gedanken über unsere gemeinsamen Verpflichtungen für die Zukunft machen. Wenn es ein gemeinsames deutsch-französisches Verständnis der Pressefreiheit gibt, dann ist es auch eine Verpflichtung für uns, geschlossen für die Pressefreiheit in der Welt einzutreten.
“La libre communication des pensées et des opinions est un des droits les plus précieux de l’homme : tout citoyen peut donc parler, écrire, imprimer librement, sauf à répondre de l’abus de cette liberté, dans les cas déterminés par la loi”: “Die freie Äußerung von Gedanken und Meinungen ist eines der kostbarsten Menschenrechte: Jeder Bürger kann also frei reden, schreiben und drucken, vorbehaltlich seiner Verantwortlichkeit für den Missbrauch dieser Freiheit in den durch das Gesetz bestimmten Fällen.” So lautet Artikel 11 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789, des Sockels der französischen freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Dem waren heftige Auseinandersetzungen zwischen den Aufklärern und der Zensur vorausgegangen, in welchen Beaumarchais, der Autor von Figaros Hochzeit, eine besondere Rolle spielte. Von ihm stammt der Satz, der noch heute auf der Titelseite der französischen Tageszeitung Le Figaro zu lesen ist: “Sans la liberté de blâmer, il n’est point d’éloge flatteur”: “Ohne die Freiheit zu tadeln gibt es kein schmeichelhaftes Lob”.
Im deutschsprachigen Raum brachte Immanuel Kant die Sache auf den Punkt: “Die Freiheit der Feder”, so schreibt er, “ist das einzige Palladium der Volksrechte”. Am Anfang des Engagements für die Pressefreiheit in Deutschland und in Frankreich steht also die Überzeugung, dass es – in unseren heutigen Worten – keine Demokratie geben kann, wenn es keine informierte Öffentlichkeit gibt. Die Forderung nach wahrhafter Information und nach dem Recht, frei Stellung zu beziehen in den Debatten der Zeit, ist Kernbestand jedes demokratischen Engagements. Dementsprechend war der Kampf für Demokratie in der Zeit der Restauration nach der napoleonischen Herrschaft und im gesamten 19. Jahrhundert sowohl in Frankreich als auch in Deutschland vom Thema Pressefreiheit dominiert. Ich brauche hier nur an das Hambacher Fest von 1832 zu erinnern – die Sternstunde der demokratischen Bewegung im Vormärz – dessen zentrale Forderung die “Preßfreiheit” war.
Umgekehrt war die Einschränkung dieser Freiheit das Fundament jeder restaurativen Politik, etwa im Deutschen Bund – gemeint sind die berüchtigten Karlsbader Beschlüsse von 1819. Das gilt aber auch für das Königreich Frankreich, in dem Ministerpräsident Graf Villèle ab 1822 zahlreiche restriktive Gesetze verabschiedete. Diese antifreiheitliche Gesetzgebung trug eigentlich in beiden Ländern zur Stärkung der demokratischen Bewegung bei. So wurden die Bourbonen 1830 nach der Verabschiedung eines Erlasses endgültig gestürzt, der die Pressefreiheit explizit aufhob, während die “Mannheimer Forderungen” für einen Verfassungsstaat in Baden, die den Auftakt zur Märzrevolution bildeten, ebenfalls auf die Pressefreiheit zentriert waren. In der Zeitspanne zwischen 1830 und 1848 fanden übrigens sehr viele verfolgte deutsche Journalisten und Publizisten eine zweite Heimat in Paris. Zu nennen wären hier etwa Ludwig Börne oder Heinrich Heine. Auch nach unserer gemeinsamen Revolution 1848 war der Kampf für die Pressefreiheit immer Kernbestand der demokratischen Forderungen. So gehört das Gesetz über Pressefreiheit vom 29. Juli 1881 zu den ersten grundlegenden Entscheidungen der Dritten Republik in Frankreich, als es darum ging, das Land dauerhaft zu “republikanisieren” und eine tiefgreifende Kultur der Freiheit in der Bevölkerung zu verankern.
Den letzten Höhepunkt dieser Parallelgeschichte der Pressefreiheit vor der Wende von 1989 bildet natürlich das deutsche Grundgesetz, in dem es bekanntlich heißt: “Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt”. Somit wurde die Pressefreiheit als Freiheit der Meinungsäußerung gekennzeichnet. Das war der Sinn aller bisherigen Revolutionen: Ja, die Vielfalt der Meinungen ist ein unschätzbares Gut und ein Fundament der Demokratie, denn Demokratie lebt gerade von der Vielfalt. Diese Prinzipien erhielten eine glänzende Bestätigung durch die friedliche Revolution von 1989/1990. Sie ergab sich aus der Bürgerbewegung, die für mehr Demokratie eintrat und nicht zuletzt in Leipzig die Freiheit der Information auf ihrer Tagesordnung hatte. Das heißt: Es war eine Revolution im Namen der Meinungsvielfalt. Dieses Miteinander recht verschiedener, ja manchmal entgegengesetzter Meinungen ist heute das Merkmal unserer Länder. Gerade Deutschland ist als Bundesstaat ein Hort der Vielfalt geworden, einer Vielfalt, die in der heutigen Welt eine unglaubliche Chance ist – für Deutschland selbst, aber auch für uns Franzosen, für alle Europäer und für die ganze Welt. Die Medienlandschaft in Deutschland ist sowohl politisch als auch geografisch viel bunter als in Frankreich, und ich darf es ruhig sagen: Sie dürfen stolz darauf sein. Oft beneide ich Sie sogar als Franzose!
Dieser historische Rückblick zeigt uns, dass es eine deutsch-französische Geschichte der Pressefreiheit gibt, eine Geschichte, für die beispielhaft die Stadt Leipzig steht. Sowohl für Frankreich als auch für Deutschland gilt der Satz, den Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seiner Ansprache zur Wiedervereinigung Deutschlands 1990 sagte: “Die Freiheit zur Wahrheit wurde das kostbarste Gut, das die Menschen durch ihren Aufstand mit eigener Courage errungen haben”. Er sagte aber auch: “Doch nun, da wir die Freiheit haben, gilt es, in ihr zu bestehen”. Wie sollen wir Deutschen und Franzosen in der Freiheit, besonders in der Pressefreiheit, bestehen?
Eine Grundannahme ist, dass die Grundrechte nur von dem leben, was wir aus ihnen machen. Was bedeutet das für uns und für unser Engagement? Soll die Pressefreiheit um der Pressefreiheit willen ausgeübt werden? Ist sie für uns ein Selbstzweck? Hier nützt uns der Rückblick auf die Geschichte der Pressefreiheit in Deutschland und in Frankreich, hier hilft die historisch-kulturelle Standortbestimmung. Weil wir wissen, dass die Pressefreiheit eine Bedingung für den Aufbau einer demokratischen Grundordnung ist, wollen wir immer wieder betonen: Die Pressefreiheit ist keine Worthülse, kein abstraktes Prinzip, das wir willkürlich zum Kardinalwert unseres Handelns auserkoren hätten. Wir verteidigen die Pressefreiheit, weil wir darin die Vorbedingung für die Verwirklichung der einzigen Grundordnung erkennen, die der Menschenwürde gerecht wird. Dementsprechend betrachten wir die Pressefreiheit und sämtliche Menschenrechte als ein zusammengehörendes Ganzes, ein Ganzes, das es gnadenlos zu verteidigen und zu fördern gilt, und zwar überall in der Welt, wo diese Grundfreiheiten bedroht werden.
Ich darf es konkret nennen: Es gibt heute noch in der Welt zu viele Länder – wobei nur ein Land schon zu viel wäre – die diese Grundrechte und die Pressefreiheit verachten und dabei Überreste totalitärer Praktiken aufweisen, die bekämpft werden müssen. Das gilt allen voran für China, das bevölkerungsreichste Land der Welt, auch eine steigende Wirtschaftsmacht, die aber das Recht auf Meinungsvielfalt missachtet. Als Franzosen und als Deutsche sollen wir es als unsere Pflicht betrachten, solche Zustände – wo auch immer sie bestehen – zu denunzieren. Denn sie sind auch auf anderen Kontinenten und in anderen Ländern zu finden, manchmal gar nicht so weit von uns. Das ist ja auch der Sinn des heutigen Preises, und gerade deshalb ist er so wichtig für uns alle. Ich möchte mich jetzt an die Journalisten wenden, die wir heute Abend ehren und die den “Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien” erhalten: Sie kommen alle aus der ganzen Welt, aber Sie sind hier in Leipzig zu Hause, in der Stadt der Freiheitsliebe. Sie sind in allen Rechtsstaaten der Welt zu Hause, denn die Freiheit, die Sie meinen, gilt uns allen als Menschen. Für diesen mutigen, oft gefährlichen Einsatz im Namen eines der grundsätzlichsten Menschenrechte möchte ich mich bei Ihnen bedanken und Sie alle begrüßen.
Noch vor seiner Wahl zum Bundespräsidenten hatte Joachim Gauck in einer Rede erklärt, dass eine “Freiheit zu” immer auf eine “Freiheit für” hinausläuft, die die ganze Gesellschaft mit einbezieht: “Wir sind angelegt auf diese Art von Freiheit, eine Freiheit, die den anderen und ein Gegenüber zur eigenen Aufgabe macht, die uns mit dem verbindet”. Nach dieser Prämisse verdient ganz bestimmt die Pressefreiheit wie kaum eine andere den Titel einer “Freiheit für”, weil sie diese einzigartige Aufklärungsrolle hat. Der Gründervater der Dritten französischen Republik, Léon Gambetta, hat 1872 gesagt: “Partout où l’on fait un lecteur, on allume une intelligence et l’on éclaire une conscience”: “Überall, wo man jemanden zum Leser macht, entfacht man Intelligenz, und schafft Bewusstsein”. Wer für Pressefreiheit eintritt, übernimmt also eine nicht zu unterschätzende politische Verantwortung, derer sich die Journalisten bewusst sein sollten – auch und vor allem in Deutschland und in Frankreich. Damit spiele ich natürlich auch auf die jüngsten Karikaturen in Charlie Hebdo an. Was soll man dazu sagen? Diese Karikaturen waren als Provokation einer lang etablierten, entschieden antiklerikalen und antireligiösen Satirezeitschrift gemeint. Man kann Provokation für eine Art negative Freiheit halten, für eine Freiheit, die die Verantwortung missachtet. Vielleicht ist diese selbstbezogene Freiheit ein allzu leichtes Spiel, eine Karikatur in der Tat, aber eine Karikatur ihrer selbst. Vielleicht nur eine “Freiheit zu”, aber keine “Freiheit für”.
Aber vielleicht auch nicht. Es gibt ja eine lange Tradition der derben Provokation, der gewaltvollen Satire als Schocktherapie für schlummernde Geister. Das war vor allem der Fall im 19. Jahrhundert, etwa in Heines satirischen Gedichten oder bei Daumier – einem Karikaturisten eben. Man kann also zum Beispiel auch Daumier, so ungerecht, so verantwortungsunbewusst er gewesen sein mag, zu den geistigen Gründervätern der Republik in Frankreich zählen. Provokateure sind auch Herausforderer, und wenn ein Regime keine Herausforderung im Bereich der Pressefreiheit erträgt, dann ist vielleicht doch etwas faul in diesem Staate. Sollten sich etwa die Journalisten und die Satiristen selbst zensieren? Es ist eine schwierige Frage, und ich will sie sicher nicht kategorisch beantworten. Ich kann verstehen, dass die Meinungen in diesem Punkt auseinander gehen. Nicht umsonst habe ich gerade gesagt, dass diese Meinungsvielfalt eine Stärke ist. Eines ist aber sicher: Wer damit anfängt, die Meinungsfreiheit im Namen der Verantwortung einzuschränken, der setzt möglicherweise einen Prozess in Gang, dessen Ende durchaus finster sein kann. Das muss nicht nur jeder Journalist, sondern jeder Bürger allein mit seinem Gewissen ausmachen und sich fragen: Bin ich bereit, einen noch bittereren Preis zu zahlen, um Provokationen zu vermeiden? Meine Damen und Herren, Sie sind alle Lehrer der Mündigkeit: Ich lasse Ihnen die Freiheit, diese Frage selber zu beantworten.
Was uns Deutschen und Franzosen eint, ist der universalistische Anspruch unseres Freiheitsbegriffs. In diesem Begriff hat die Pressefreiheit immer eine ganz besondere Rolle gespielt, die Rolle des Juwels, das es zu schützen galt. Die anderen großen Länder der Freiheit, etwa die Vereinigten Staaten oder Großbritannien, hatten seit Längerem ihre Pressefreiheit gesichert, nur wir mussten immer wieder dafür kämpfen. Deshalb sind wir uns des einzigartigen Werts dieser Freiheit bewusst, ihres politischen und gesellschaftlichen Werts. Hier finden wir die Antwort auf unsere Frage: Wie sollen wir mit der Pressefreiheit umgehen? Wir müssen uns aufgrund unserer eigenen Geschichte und unserer gemeinsamen Prinzipien als Vorreiter im Kampf für die Pressefreiheit verstehen. Freiheit ist das deutsch-französische Gut schlechthin Es ist auch der Begriff, der den Wahlsprüchen unserer Länder gemeinsam ist. Wir feiern jetzt das fünfzigjährige Bestehen einer engen Partnerschaft, die in der ganzen Welt ohnegleichen ist, weil sie auf einem Raum der Freiheit beruht. Was diese einzigartige Partnerschaft ermöglicht hat, ist eine dauerhafte Affinität und eine Gemeinschaft von Prinzipien und Erfahrungen. Dazu gehört allen voran der besondere Sinn für die Pressefreiheit.
In einer Welt, in der die Entscheidungsprozesse zunehmend komplex und internationalisiert werden, müssen wir geschlossener denn je auftreten. Das heißt auch: Im Zentrum unseres gemeinsamen Handelns muss das stehen, was uns vereint. Das kompromisslose Engagement für die Pressefreiheit gehört zum Kern dieser deutsch-französischen Botschaft an die Welt. Wir dürfen es nie vergessen, sondern müssen es immer wieder herausstellen. Die heutige Veranstaltung ist eine wunderbare Gelegenheit dazu, zumal sie auf eine lokale Initiative zurückgeht, deren Träger unseren Dank verdienen. Dieses lokale Engagement zeugt vom ausgeprägten Bewusstsein der hiesigen Bevölkerung für diese Themen. Gerade die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger macht die Stärke unseres Engagements aus. In diesem Sinn möchte ich den diesjährigen Preisträgern sagen: Ana Lila Pérez aus Mexiko, Balász Nagy Navarro und Aranka Szávuly aus Ungarn, sowie Bettina Rühl aus Deutschland, Sie erhalten mehr als einen Preis. Sie erhalten die völlige Unterstützung zweier Völker, die geschlossen für Ihre Werte und Ihre Prinzipien eintreten wollen.