Manager of Scoop, Chairman of the Board of ECPMF
This speech is only available in German.
Es gilt das gesprochene Wort.
Leipzig, 8. Oktober 2015
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Darf ich Sie bitten, für einen Moment die Augen zu schliessen und sich
die Weltkugel vorzustellen, so als wären Sie ein Astronaut im Weltall?
Sie müssen natürlich hellwach bleiben.
Also, bleiben Sie konzentriert! Ihr Blick nimmt erst die Weltkugel ins Visier, dann schärft er sich und fällt auf eine grosse Landmasse: Asien. Sie zoomen näher heran, sehen den Kaukasus, ein zerklüftetes Gebirge; dann das Kaspische Meer, schliesslich eine Hafenstadt: Baku. Noch näher kommen Sie heran, und Sie sehen einen grauen Klotz: das Kurdukhani-Gefängnis…Dort sitzt die Journalistin Khadija Ismayilova in ihrer kargen Zelle.
So könnten Sie von
- A wie Aserbeidschan weiterfliegen zu
- I wie Iran, woher der Filmemacher Jafar Panahi, einer unserer heutigen Preisträger, kommt.
- Zu R wie Russland, wo alle wichtige Medien von der Regierung kontrolliert werden – und wo eine frühere Preisträgerin, Anna Politkowskaja, die fast auf den Tag genau vor neun Jahren (7. Oktober 2006) ermordet wurde.
- Zu T wie Türkei, aus der Journalist Nedim Sener stammt, der heute Abend hier den Preis für Freiheit und Zukunft der Medien in Empfang nimmt. Auch er hat ein Gefängnis von innen gesehen.
- Zu U wie USA, wo Whistleblower gnadenlos verfolgt werden.
Diese Weltreise nach alphabetischer Reihenfolge der Länder können Sie fast beliebig fortsetzen.
Darf ich Sie bitten, die Augen wieder zu öffnen?
Meine Damen und Herren,
Die Medien sind unter Druck, die Pressefreiheit, die Meinungs- und
Versammlungsfreiheit sind akut gefährdet – und damit ist auch die Basis
für eine offene und freie Gesellschaft bedroht. Allzu neu ist die
Erkenntnis nicht, möge mancher entgegnen. Das stimmt, und dennoch:
Hatten wir nicht alle die Hoffnung, gerade die schier grenzenlose
Freiheit versprechende Welt des Internet sei die beste Garantin auch für
die Freiheit des Wortes?
Tatsächlich ist in Zeiten digitalen Wandels der Druck so groß wie lange nicht mehr. Schlimmer noch: Dieser Druck auf die Pressefreiheit wird, obwohl wir in einer Welt allumfassender Informiertheit leben, hier in Westeuropa kaum wahrgenommen: Wir scheinen über alles Bescheid zu wissen. Wir haben die Welt in Form eines Smartphones in der Hosentasche. Wir sind 24/ online. Und dennoch fällt es uns zunehmend schwer, in dieser informierten Welt uns aufs Wesentliche zu konzentrieren. Und Menschenrechte, meine Damen und Herren, sind wesentlich!
Die Grundrechte werden hierzulande und in anderen Demokratien für gut
gesichert gehalten – schließlich stehen Sie ja in den Verfassungen:
Heißt es nicht in Artikel 5, Absatz 1, des Grundgesetzes:
“Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern…Zensur findet nicht statt”?
Erklärungen wie diese, leicht verändert in der Wortwahl, finden sich in
der Menschenrechtserklärung der UNO, sie finden sich in Dokumenten des
Europarats und der EU. Auf dem Papier sind diese Rechte also geschützt –
aber bieten diese Dokumente wirklich den Schutz, den sie versprechen?
Man kann natürlich entgegnen: Was soll die ganze Aufregung? Ein paar Zeitungen machen dicht; ein kritisches Internetportal wird geschlossen; ein Film wird nicht in den Kinos gezeigt; oder: Im Krieg gegen den Terrorismus gibt es höhere Werte als Freiheit…nämlich Sicherheit…Aber kann es Sicherheit ohne Freiheit geben?
Ich möchte noch einige Beispiele nennen von Menschen, die ihr Einsatz
für das freie Wort und damit für das hohe Gut der Freiheit, in Not
gebracht hat. Manche mussten ihren Einsatz gar mit dem Leben bezahlen.
Georgij Gongadze war ein ukrainischer Fernsehjournalist. Er wurde am 16.
September 2001 ermordet. Gongadze war ein frecher Hund, der im
Fernsehen Politiker mit Gerüchten konfrontierte und sich deshalb viele
Feinde machte. Der Fall ist auch 14 Jahre danach noch nicht geklärt, der
Leichnam wurde ohne Haupt gefunden. Seither ist Gongadze in der Ukraine
eine Symbolfigur – für vieles, was schief gelaufen ist bei der
Transformation vom Kommunismus zur Demokratie.
Galina Timtschenko ist eine russische Journalistin. Sie war ein Jahrzehnt lang Chefredakteurin der erfolgreichsten russischen Internetz-Zeitung lenta.ru, einer Zeitung mit drei Millionen Nutzern. Galina wurde vor einem Jahr gefeuert, weil lenta.ru nicht nur kremlfreundlich über die Annektion der Krim berichtete.
Lenta.ru gehört einem der reichsten russischen Oligarchen, Aleksander
Mamut. Der mochte eigentlich die Art und Weise, wie Galina seine
Internetzeitung ausgerichtet hatte. Er konnte oder wollte sich aber
keinen Ärger mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem
Machtsystem des Kreml leisten.
Also musste Galina nach Riga in Lettland ziehen. Sie betreibt heute von
dort eine neue Netzzeitung – Meduza. Sie kann ihren Beruf nur noch im
Exil ausüben.
James Risen ist Journalist bei der New York Times, er ist Pulitzer-Preisträger, und er beobachtet seit vielen Jahren hat die amerikanischen Geheimdienste. James wollte aber seine Quellen schützen – an die möchten Behörden bekanntlich immer wieder rankommen.
Er wurde schließlich von den Diensten angeklagt. Die Staatsanwaltschaft wollte ihn dazu bewegen, nicht nur seine Quellen zu nennen, sondern auch in einem Prozess gegen einen ehemaligen Geheimdienstler auszusagen. Die Schlussfolgerung von James Risen ist eine bittere, ich zitiere: “Barack Obama ist der größte Feind der Pressefreiheit seiner Generation.”
Zurück zu Baku, hinein ins Kurdukhani-Gefängnis. Für Khadija, die wegen ihrer Berichterstattung zur Korruption in Aserbaidschan vor kurzem zu siebeneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde, haben wir Journalisten, Medien, NGOs wie wir im Center for European Press and Media Freedom, haben auch internationale Organisationen wie die OSZE europaweite Proteste organisiert.
In Fällen wie diesen bleibt uns nur der Protest. Sehr viel besser können wir es nicht.
Darf ich Sie fragen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen: Wie viele von Ihnen haben vom Fall der Khadija Ismayilova
gehört?
Vielen Dank! Übrigens haben unsere Proteste noch nichts gebracht. Khadija ist immer noch im Knast und kämpft von dort weiter.
Sie ist übrigens in ihrer Heimat eine Berühmtheit – und im Schatten hinter ihr gibt es viele andere verfolgte Medienvertreter in Aserbeidschan. Alleine in den vergangenen Jahren sind dort fünf Journalisten ermordet worden. Alle fünf Fälle sind bis jetzt nicht aufgeklärt… Außerdem sitzt noch ein weiterer Journalist im Gefängnis – und das, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das Urteil aus Baku für nichtig erklärt hat.
Viele würden sagen: Das ist ja zu erwarten in einem Land wie Aserbeidschan; die Demokratie dort hat sich noch nicht ordentlich entwickelt; es braucht noch Zeit; lasst uns Geduld haben!
Doch ich frage Sie: Ist das so einfach…Geduld zu haben, wenn die Pressefreiheit unter Druck gerät und Menschen ihrer Freiheit oder gar ihres Lebens beraubt werden?
Nehmen wir uns deshalb Deutschland vor: Selbst hierzulande haben wir alleine in diesem Jahr zwei gravierende Fälle erlebt, in denen die Pressefreiheit zu beugen versucht wurde.
Fall 1: Die Polizei nahm den arabischen Journalisten Ahmed Mansour vom Fernsehsender Al-Jazeera im Flughafen von Berlin fest. Schließlich lag aus Ägypten ein Internationaler Haftbefehl vor. Dieser Mansour sei ein Staatsfeind – behaupteten jedenfalls die „lupenreinen Demokraten“ in Kairo.
Fall 2: Fast zeitgleich leiteten die deutschen Behörden ein
Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats gegen die Netzzeitung
netzpolitik.org auf Wunsch des Verfassungsschutzes ein.
Die Kollegen Markus Beckedahl und Andre Meister hatten vertrauliche
Unterlagen vom Verfassungsschutz veröffentlicht – u.a. Finanzpläne und
ähnliches.
In beiden Fällen reagierte die deutsche Öffentlichkeit empört – zum Glück mit Folgen: Mansour wurde nicht an die Ägypter ausgeliefert; und das Ermittlungsverfahren gegen netzpolitik.org wurde eingestellt. Beide Fälle gingen letztlich positiv aus. Und dennoch: Wir können auch hier lernen, wie bisweilen Behörden in einem konstitutionellen starken Rechtsstaat denken und handeln und bisweilen auch bereit sind, Recht zu beugen.
“Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.” Artikel 5, Grundgesetz.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
Das alles sollte uns nicht überraschen. Seit Jahren ist der Druck auf
die Pressefreiheit und auf andere Grundrechte gewachsen. Die Demokratie
hat zunehmend einen schweren Stand.
Der amerikanische “Wachhund” Freedom House beobachtet und analysiert seit mehr als 75 Jahren die Lage der Demokratie und Freiheit in aller Welt. Die aktuelle Analyse ist ernüchternd: Der Freiheitsindex ist in den vergangenen neun Jahren ununterbrochen zurückgegangen.
Auch Reporter ohne Grenzen kommen auf ein ähnliches Ergebnis. Ich zitiere: “Die Lage für Journalisten und unabhängige Medien in der Mehrzahl der Länder ist im vergangenen Jahr schlechter geworden.”
Zu den wichtigsten Gründen zählen Reporter ohne Grenzen die gezielte Unterdrückung oder Manipulation der Medien in Konfliktregionen wie der Ukraine, Syrien, dem Irak und den Palästinensergebieten.
Daneben missbrauchen viele Staaten den angeblich nötigen Schutz der nationalen Sicherheit, um Einschränkungen der Pressefreiheit durchzusetzen…Freiheit versus Sicherheit…
Steigendem Druck sind nicht nur klassische Zeitungen, sondern auch die neuen Medien ausgesetzt. Der türkische Präsident Erdogan hat zum Beispiel Twitter den Krieg erklärt. 87 Prozent der weltweiten Forderungen, Material von Twitter zu entfernen, kommt – Sie haben es sicher erraten – von türkischen Behörden.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
Im Kontext der Pressefreiheit unter Druck müssen wir auch die Schwierigkeiten der
Main Stream-Medien sehen. Die Auflagen und Anzeigeneinkommen gehen
stetig zurück. Nur die wenigsten haben es geschafft, in Zeiten des
digitalen Wandels ein belastbares Geschäftsmodell zu entwickeln, das den
Fortbestand des Mediums – ob in gedruckter Form und/oder online –
nachhaltig ermöglicht.
Gerade in Zeiten knappen Geldes und des täglichen Kampfes ums eigene Überleben erscheinen Recherchen und Reportagen zunehmend teuer, für manche gar unerschwinglich.
Viele Zeitungen und Zeitschriften können oder wollen es sich nicht
mehr leisten, Geld in guten investigativen Journalismus zu stecken. Denn
investigativer Journalismus ist zeitaufwendig, er bindet Ressourcen und
ist ergebnisoffen, sprich: eine großartige Geschichte ist nicht
zwingend garantiert.
Wenn man allerdings nicht mehr recherchieren mag oder kann, beraubt sich
der Journalismus einer seiner Hauptfunktionen: nämlich verläßlicher
„Wachhund“ einer Gesellschaft zu sein. Er wird zahm und zahnlos.
Der Qualitätsjournalismus heute steckt nicht nur aufgrund der
Ressourcenknappheit in einer existentiellen Krise, weil er seine Rolle
in der Welt des Internets noch nicht gefunden hat und seine
wirtschaftliche Basis wegschmilzt.
Er hat auch Probleme, weil er in den vergangenen Jahren an Selbstverständnis und Selbstbewußtsein eingebüßt hat.
Dazu ein Beispiel: In Dänemark, meinem Heimatland, hatten wir vor
einer Woche viele Veranstaltungen, Sendungen und Berichte zu der
“Karikaturen-Krise” vor 10 Jahren. Damals veröffentlichte die Zeitung
Jyllands Posten die Mohammed-Karikaturen. Sie stürzte damit das Land in
die schwerste internationale Krise seit 1945: Botschaften wurden
niedergebrannt und die dänische Nationalfahne zerrissen.
Rund 140 Menschen wurden Opfer der Gewalt gegen Dänemark. Diesmal haben
wir diskutiert und geschrieben, ohne die Karikaturen zu veröffentlichen.
Jyllands Posten schreibt ehrlicherweise in einem Leitartikel, dass man
auf eine Veröffentlichung verzichtet habe, aus Sorge um die Sicherheit.
Jyllands Posten fürchtet sich vor Konsequenzen – solche wie bei
Charlie Hebdo. Die bittere Wahrheit: Die Antagonisten haben gewonnen.
Wir üben Selbst-Zensur aus.
Was ist zu tun? Was können WIR tun?
- Gehen wir zu Wahlveranstaltungen und fragen Politiker, die in unserem Wahlkreis kandidieren, was sie für die Pressefreiheit zu tun bereit sind!
- Schreiben wir Leserbriefe! Organisieren wir Foren in sozialen Medien!
- Diskutieren wir diese Themen mit Freunden und Kolleginnen und Kollegen! Und zwar am liebsten kontrovers!
- Unterstützen wir Vereine und Organisationen, die – wie das neue European Center for Press and Media Freedom – diese Entwicklungen analysieren und ihr entgegentreten.
Im European Center for Press and Media Freedom werden wir so gut wir
können einzelnen Journalisten helfen. Wir richten eine Art Alarmzentrale
ein, damit wir im Gefahrenfall schnell reagieren können.
Wir werden Regierungen, Parlamente und internationale Organisationen
ansprechen und Eingriffe in die Pressefreiheit entlarven als das, was
sie sind: Angriffe auf die Demokratie.
Wir werden in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen Analysen und Forschung initiieren, damit Experten, Praktiker und Organisationen am gleichen Strang ziehen.
Wir werden neue Bündnisse grenzüberschreitend schließen und uns an die Öffentlichkeit wenden, damit Sie, meine Damen und Herren, wissen, was los ist.
Schließen wir noch einmal die Augen und zoomen aus dem Weltall auf Baku, die Stadt am Kaspischen Meer. Dort lebt nicht nur Khadija Ismayilova, sondern auch Mehriban Alijewa. Sie ist nicht nur die Frau des Präsidenten, sondern auch noch „Botschafterin des guten Willens“ für die Unesco – weil sie sich den Idealen dieser Organisation verschrieben habe, wie es heißt. Die Unesco ist als UN-Organisation zuständig unter anderem für Rede-und Pressefreiheit. Wie heißt es auf der Homepage der Unesco? “Der Schutz der Meinungsfreiheit ist eine essentielle Bedingung für Demokratie, Entwicklung und menschliche Würde.”
Haben Sie auch ein Problem mit der Vorstellung, dass die First Lady eines Landes, in dem Journalisten eingesperrt und ermordet werden, den guten Willen der Unesco in die Welt trägt?
Ich kann Ihnen versprechen: Wir werden auch in diesem Fall nicht locker lassen und uns an die Unesco, an die nationalen Unesco-Komitees und an die europäischen Regierungen wenden, die Mitverantwortung tragen für solch eine Farce.
Und wir werden auch nicht locker lassen,
- bis Khadija Ismayilova wieder in Freiheit auf das Kaspische Meer blicken kann;
- Jafar Panahis Film „Taxi Teheran“ auch dort gezeigt werden darf, wo er spielt: in Teheran;
- die Morde an Georgij Gongadze und Anna Politkowskja aufgeklärt sind und ihre Angehörigen wissen, was wirklich geschah;
- bis Nedim Sener frei und ohne eingeschüchtert zu werden publizieren darf;
- Journalisten wie James Risen nicht mehr Staatsfeinde Nummer 1 sind;
- Und bis Ahmed Mansour, Markus Beckedahl und Andre Meister von deutschen Behörden zufrieden gelassen werden.
Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um den Druck auf die Pressefreiheit zu reduzieren – egal wo auf der Welt. Wir lassen nicht locker!
Vielen Dank!