Symposium der Stiftungen der Sparkasse Leipzig am 8. Oktober 2024.
Mit einem Symposium "Schicksalsgemeinschaft - Verlorener Frieden in Europa" griffen die Stiftungen der Sparkasse Leipzig am 8. Oktober 2024 die Diskussionen um die Zukunftsfähigkeit Europas auf. Am Vorabend des 35. Jahrestages der ersten großen Demonstrationen in Leipzig, vor allem jedoch im dritten Jahr des Ukraine-Krieges, wies Dr. Harald Langenfeld, Vorstandsvorsitzender der Medienstiftung und der Sparkasse Leipzig, auf die steigende Kriegsmüdigkeit in der europäischen Gesellschaft hin: "Nach anfänglicher Solidarität mit der Ukraine zeigte die europäische Einigkeit schnell Risse und der Glaube, hier würden nicht nur die Ukraine, sondern auch unsere Werte und unsere Freiheit verteidigt, stößt auf eine sinkende Zustimmung und Zahlungsbereitschaft." Zugleich gefährdeten mediale Angriffe von außen den demokratischen Diskurs und trügen zur Spaltung der Gesellschaft bei. Mit dem Symposium wolle man dazu beitragen, "frühzeitig auf Gefährdungen hinzuweisen, Ursachen zu benennen und dagegen anzukämpfen." Es gelte, "Europa als gemeinsamen Raum des Vertrauens" zu erhalten: "Und in diesem Sinne eine Wertegemeinschaft, die sich nicht abschließt, sondern als offene Gesellschaft ein Angebot macht für Demokratie und Meinungsfreiheit, für Vielfalt und ein friedliches Miteinander", so Dr. Langenfeld.
Prof. Dr. Sir Christopher Clark, Regius Professor of History an der University of Cambridge, erläuterte in seiner Keynote "Europa als Schicksalsgemeinschaft? Vom politischen Nutzen der Geschichte", wie eine gemeinsame europäische Geschichte immer wieder im Nachhinein nationalisiert werde: "Die komplexe europäische Vergangenheit wird als Nährstoff für nationale Erzählungen genutzt." Dies ließe sich an den europaweiten politischen Unruhen 1848 ebenso zeigen wie an den nationalen Erklärmustern zum Ausbruch des I. Weltkriegs. Letztere hätten beispielsweise auch als Argumentationshilfen für den Austritt Großbritanniens aus der EU herhalten müssen. Auch Russlands Präsident Wladimir Putin und seine Propagandamaschine nutzen Clark zufolge regelmäßig geschichtliche Narrative. Zu konstatieren sei dabei, dass Russland von der revolutionären Geschichtsbetrachtung des 20. Jahrhunderts zurückgekehrt sei zu einer im 18. und 19. Jahrhundert verankerten Philosophie, die das Land als konservativen Widerpart zum liberalen Westen verstehe. Insofern sei das 20. Jahrhundert als eine Ausnahme zu verstehen - inzwischen sei man zum "Normalfall" des Petersburger Manifests unter Zar Nicolaus I zurückgekehrt, laut dem Russland mit Großmächten verhandle und kleinere Staaten allenfalls als verhandelbare Landstriche betrachte.
Prof. Dr. Sönke Neitzel, Professor für Militärgeschichte / Kulturgeschichte der Gewalt an der Universität Potsdam, schloss sich in seinem Beitrag "Die Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr" an diese Sichtweise an: Dass kleinere Staaten eine eigene Stimme hätten, sei eine Errungenschaft des 20. Jahrhunderts und insbesondere des europäischen Einigungsprozesses. Beim Ukrainekrieg handele es sich um einen "Systemkonflikt" zwischen Liberalismus und Totalitarismus. Vor diesem Hintergrund müsse man die Frage stellen, inwiefern Europa und seine Nationalstaaten reformfähig seien. Die seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs eingeleiteten Reformen der Bundeswehr seien diesbezüglich Bedenken erregend: "Wir sind von der Zeitenwende zur Zeitenbremse marschiert", konstatierte er. Um echte Reformen anzugehen, müsste "auch die Politik tapfer sein und ins Risiko gehen". Zugleich forderte Neitzel größere Ehrlichkeit auch der Generalität und - wie in anderen Ministerien üblich - einen Wissenschaftlichen Beirat auch für das Verteidigungsministerium: "Wir brauchen mehr Öffentlichkeit in den ganz großen Fragen", sagte der Militärhistoriker.
Über "Die Medien im Krieg" referierte Prof. em. Dr. Michael Haller, vormals Professor für Allgemeine und Spezielle Journalistik an der Universität Leipzig und Wissenschaftlicher Direktor des "Europäischen Institutes für Journalismus- und Kommunikationsforschung gem. e. V. - EIJK" in Leipzig. Er erläuterte, dass der Ausbruch des Ukraine-Kriegs ebenso wie der Angriff der Hammas auf Israel am 7. Oktober 2023 ein verstärktes Informationsbedürfnis der deutschen Bevölkerung und eine erhöhte Nutzung von News-Medien mit sich gebracht habe. Regelmäßig stünden Medien vor der Frage, wer die Deutungshoheit in der Kriegsberichterstattung habe - Militär oder Journalismus. "Es ist eine Frage, die sich nur in demokratisch verfassten Staaten stellt", machte er klar: Diktaturen seien nicht an intersubjektiver Berichterstattung interessiert, sondern an Propaganda. Diese wirke auch auf Nicht-Kriegsbeteiligte zurück und sei - wie im Falle des Ukraine-Kriegs - schwer zu bändigen: "Die wenigen Faktenchecker wirken wie Don Quichote im Kampf gegen die Windmühlen." Den öffentlich-rechtlichen Medien und ihrem Korrespondentennetz falle deshalb die besondere Aufgabe zu, faktenorientiert zu arbeiten und diese Fakten einzuordnen. Allerdings sei die Objektivität begrenzt: Medien seien eingebettet in den Frame liberal-demokratischer Werte der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Dies mache sie in bestimmtem Maße zu "Mitkämpfenden, die unsere Werte gegen das Böse verteidigen." Vor diesem Hintergrund müsse man sich die Essentials journalistischer Arbeit immer wieder klarmachen.
Wie schwierig die Aufgabe des Auslandskorrespondenten in Krisengebieten ist, ordnete Sabine Adler, Osteuropa-Korrespondentin des Deutschland Radios und Preisträgerin des Preises für die Freiheit und Zukunft der Medien 2024, in der abschließenden, von Wiebke Binder (ARD und MDR) moderierten Podiumsdiskussion ein. Im Ukraine-Krieg gelte: "Wir haben Desinformation auf der einen Seite, Restriktionen auf der anderen. Und wir dürfen nicht ins Kriegsgebiet", führte sie aus: "Das Emblem 'Press' ist in einem Kriegsgebiet eine Zielscheibe." In aktuellen Diskussionen über mangelnde Diplomatie und Friedensverhandlungen vermisse sie die Frage, wie ein friedlicherer Zustand nicht nur hergestellt, sondern auch langfristig gesichert werden könne. Marika Linntam, Botschafterin der Republik Estland in der Bundesrepublik Deutschland, äußerte sich anerkennend über die Rolle, die Deutschland im Ukraine-Krieg spiele: "Bei aller innerdeutschen Kritik: Wir sind dankbar, dass sich in Deutschland etwas bewegt." Im Baltikum habe man gesehen, wie der russische Nachbar in den vergangenen 30 Jahren Schritt für Schritt aggressiver geworden sei. Umso mehr sei es von "existentieller Bedeutung", dass die Ukraine den Konflikt gewinne und ihre regionale Integrität wiederherstellen könne, "damit Russland nicht die falschen Schlussfolgerungen zieht."
Um dauerhaft wehrhaft zu sein, benötige Europa eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, betonte Generalmajor a. D. Michael A. Hochwart, bis zum 30. September 2024 Kommandeur des Ausbildungskommandos Heer der Bundeswehr in Leipzig. In einem solchen Rahmen sei auch die Bundeswehr reformierbar, stellte er fest, bezweifelte jedoch, dass "prozessorientierter Zentralismus" hier zum Ziel führe.
"Wenn sich unsere Politik zu sehr am gerade vermuteten aktuellen Volkswillen orientiert: Lassen Sie uns immer wieder betonen, dass es auch unsere Meinung gibt", zog Stephan Seeger, Direktor Stiftungen der Sparkasse Leipzig, ein Resümee: "Wir haben keine populistischen Lösungsansätze zu bieten, die schnellen Frieden und damit die Beruhigung der Volksseele versprechen - sondern die Realität. Und die Geschichte!"
Bereits 2018 hatten die Stiftungen der Sparkasse Leipzig zum Symposium "Schicksalsgemeinschaft - Europas Zukunft hundert Jahre nach dem ersten Weltkriegsende" nach Leipzig eingeladen. Dabei wurde unter anderem die Frage aufgeworfen, ob nach den Erfahrungen zweier Weltkriege ein Krieg im Europa der Zukunft noch denkbar erscheint.
Sechs Jahre später und um das Wissen um den kriegerischen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine "reicher", wurde an diese Fragestellung unter dem Thema "Schicksalsgemeinschaft - Verlorener Frieden in Europa" noch einmal angeknüpft.