als Bundesminister des Innern
Es gilt das gesprochene Wort.
Leipzig, 8.10.2010.
Wir haben eben schon kurz von Aram Radomski und Siegbert Schefke gehört
und den Bildern, die wir ihnen zu verdanken haben. Am 9. Oktober 1989,
also vor fast genau 21 Jahren, stiegen die beiden heimlich auf den Turm
der Reformierten Kirche am Tröndlin-Ring hier in Leipzig. Direkt unter
ihren Füßen zogen rund 70.000 Montagsdemonstranten vorbei und forderten
friedlich Reformen in der DDR. Mit einer Kamera filmten sie den
Demonstrationszug.
Noch am gleichen Abend – im heutigen Zeitalter schnellstmöglicher Kommunikation kann man sich kaum noch vorstellen, was das für eine logistische Meisterleitung war, noch dazu musste der Film über die Mauer nach West-Berlin geschmuggelt werden – zeigten die Tagesthemen das “Wunder von Leipzig”. Über das West-Fernsehen kamen die Bilder zurück in die DDR.
Die eindrücklichen Bilder verfehlten ihre Wirkung nicht. Der trotz der Bedrohung durch die bewaffneten Sicherheitskräfte des SED-Regimes friedliche Ausgang der Demonstration und die auf dem Film gut zu sehenden Menschenmassen ermutigten viele Menschen in der DDR, an den kommenden Demonstrationen teilzunehmen.
Braucht es eindringlichere Beispiele, um Macht und Wirkung von Bildern und freien, unzensierten Nachrichten zu belegen?
Im Rahmen des Jubiläums der Feier von 20 Jahren Friedlicher Revolution und Deutscher Einheit, gab es viele solcher Geschichten zu erzählen. Eine andere gute Geschichte ist, dass gerade in Leipzig, wo bis 1989 noch der journalistische Nachwuchs in der DDR “in einer Art rotes Kloster” “auf Linie” gebracht wurde, nun schon zum zehnten Mal der “Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien” am richtigen Ort vergeben wird. Genauso wie mit der heutigen Journalistenausbildung wird mit dem Preis die Forderung der Demonstranten des Herbstes ’89 nach Meinungs- und Pressefreiheit mit Leben erfüllt. Es ist gut, dass in Leipzig nun neue Journalistengenerationen ausgebildet werden und zwar nicht darin, wie man die Losung des Tages aus Ost-Berlin am besten verpackt, sondern wie man den eigenen Kopf dazu einsetzt, die Möglichkeiten der Pressefreiheit zu nutzen, aber auch dafür Sorge zu tragen, diese nicht zu missbrauchen. Es zeigt sich, dass Leipzig das Erbe der Friedlichen Revolution auch auf diese Weise bewahrt und pflegt.
Die Forderung nach Pressefreiheit und noch so wichtige Preise allein reichen nicht
Der Preis, der heute Abend vergeben wird, würdigt Menschen, die für Meinungs- und Pressefreiheit weltweit eintreten, vor allem dort, wo es – aus welchen Gründen auch immer – nicht möglich ist, frei und ungehindert und ohne Gefahr für sich selbst zu recherchieren und zu berichten.
Die Forderung nach Pressefreiheit und noch so wichtige Preise allein reichen nicht. Medien- und Pressefreiheit muss gestaltet werden, einen Rahmen erhalten. Sie muss gelebt werden. Das ist eine Frage des Rechts, aber nicht nur. Es ist vor allem eine Frage gelebter Verantwortung. Diese Verantwortung obliegt der ganzen Gesellschaft, den Mediennutzern, den Medien, den Journalisten und den Politikern.
Eine Demokratie funktioniert dadurch, dass sich das Volk in Freiheit eine eigenständige Meinung bilden kann. Eine freie und eigenverantwortliche Meinung zu entwickeln, dazu braucht es eine freie Presse und freie Medien. Dabei ist in die Verantwortung der Presse gestellt, umfassende Informationen zu ermöglichen, die Vielfalt der bestehenden Meinungen wiederzugeben sowie selbst Meinungen zu vertreten. Pressefreiheit und Meinungsfreiheit sind zwei Seiten ein und derselben Medaille; sie haben nicht ohne Grund ihren Standort in demselben Grundrechtsartikel: Die eine Freiheit ist ohne die andere nicht denkbar.
Pressefreiheit ist das tägliche Brot für die Demokratie
Das Bundesverfassungsgericht hat die besondere Bedeutung der Pressefreiheit für unsere Demokratie festgestellt: “Eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates; insbesondere ist eine freie, regelmäßig erscheinende politische Presse für die moderne Demokratie unentbehrlich.” Ein bekannter deutscher Journalist hat das in einfachen Worten auf den Punkt gebracht: “Pressefreiheit ist das tägliche Brot für die Demokratie”.
Die Presse bedient das Informationsinteresse der Bevölkerung. Dazu gehört einerseits, Sachverhalte, die sich in einer zunehmend globalisierten Welt ereignen, möglichst verständlich zu erklären. Wie viele Bürger können diese komplexen Zusammenhänge ohne zusammenfassende Darstellung in den Medien verstehen? Hier kann die Presse helfen, als Multiplikator Verständnis über die staatlichen Zusammenhänge zu erreichen. Anderseits gehört dazu aber auch, unangenehmen Wahrheiten auf die Spur zu kommen und Missstände ans Tageslicht zu befördern. Diese Aufgaben der Medien sind gleichermaßen wichtig, auch wenn sie uns zuweilen ärgern.
Die Ausübung der Pressefreiheit braucht Verantwortung wie der Gebrauch von jeder Art Arbeit
Schwierig wird die Situation dann, wenn erkennbar wird, dass eine Story nur aufgrund eines Geheimnisverrats einem Journalisten bekannt und von diesem veröffentlicht wurde. In einem solchen Fall stehen sich der Wert – die Sicherheit des Staates, zu dem auch der Geheimschutz gehört – und der Schutz der Pressefreiheit gegenüber.
Pressefreiheit funktioniert nur, wenn ein Informant auch geschützt wird. Das ist unentbehrlich. Die Medien können nicht auf private Mitteilungen verzichten. Aber deswegen muss man diejenigen, die Geheimnisverrat begehen, nicht auch noch loben. Das gilt jedenfalls in Demokratien. Geheimnisverrat ist und bleibt strafbar.
Die Ausübung der Pressefreiheit braucht Verantwortung wie der Gebrauch von jeder Art Arbeit. Diese Verantwortung erwächst auch aus der Macht der Medien. Ich bin als Innenminister für die öffentliche Sicherheit im Land zuständig. Journalisten sollten sich ihrer Verantwortung bei allen Meldungen, die mit öffentlicher Sicherheit zu tun haben, bewusst sein. In bestimmten Fällen, zum Beispiel einer Entführung, ist es aus ermittlungstaktischen Gründen unverantwortlich, darüber öffentlich zu berichten. Nun erfahren aber Medien aus verschiedenen Quellen oder im Hintergrund von einem solchen Fall, bekommen Informationen über den Stand polizeilicher Ermittlungen und wittern vielleicht eine gute Story. Eine Veröffentlichung der Informationen könnte aber Leib und Leben des Opfers gefährden.
An dieser Stelle kommen Vertrauen und Verantwortung zusammen. Als Ermittler oder Innenminister muss man das Vertrauen in die Medien haben, dass diese der Bitte folgen, nichts Unverantwortliches zu dem Fall zu veröffentlichen und die Medien haben die Verantwortung, die Folgen ihres Handelns genau zu bedenken. Andererseits haben die Ermittler die Verantwortung, nach Abschluss des Falls die Medien und die Öffentlichkeit über die wesentlichen Aspekte zu informieren und die Medien müssen das Vertrauen haben, dass sie die notwendigen Informationen auch erhalten und gesammelte Fakten veröffentlichen können. Im Großen und Ganzen funktioniert das Wechselspiel von Vertrauen und Verantwortung in Deutschland recht gut und ich will und muss darauf vertrauen, dass das auch in Zukunft so bleiben wird.
Verantwortung muss sich auch im Umgang mit der Einflussmacht zeigen, die den Medien zugeschrieben wird. Das zeigt der manchmal für die Presse verwendete Begriff der “vierten Gewalt”. Als Bundesinnenminister, der für die Verfassung zuständig ist, und als Jurist kann mich der Begriff nicht komplett überzeugen, da er staatsorganisatorisch nicht ganz zutreffend ist. Aber ich denke, er veranschaulicht gut, dass die Presse die öffentliche Meinung prägt und damit die Staatsgewalt auch faktisch jedenfalls in der Wirkung durch Berichterstattung kontrolliert. Ein Verfassungsorgan wird die Presse damit nicht.
Man mag Religion kritisieren können und dürfen, aber Häme gefällt mir persönlich nicht
Zweifellos haben Medien eine große Aufklärungs- und Aufdeckungskompetenz. Es ist ihre Aufgabe, Themen zu recherchieren, darüber zu berichten, Skandale aufzudecken und Missstände zu benennen. Es ist nach meiner Meinung Aufgabe der Presse, über Themen zu berichten und nicht Themen zu erfinden oder zu machen, oder auch Themen erst hochzuziehen und sich anschließend darüber zu beschweren. Wohlgemerkt: das alles ist erlaubt und nicht verboten. Ich persönlich finde es nur nicht richtig und nehme mir die Freiheit, das zu sagen.
Verantwortung der Medien hat auch etwas zu tun mit Taktgefühl. Takt oder Anstand kann man rechtlich nicht erzwingen, aber diese Tugenden sollte jeder Verantwortliche in den Medien verinnerlichen und sich den Folgen seines Handelns, Schreibens oder Zeichnens immer bewusst sein.
Als engagierter Christ bin ich persönlich der Auffassung, dass Religion etwas Heiliges ist. Man muss ihr behutsam begegnen und die Achtung, die Gläubige ihrer Religion entgegenbringen, berücksichtigen. Man mag Religion kritisieren können und dürfen, aber Häme gefällt mir persönlich nicht.
Vor einiger Zeit hat z. B. ein Mode-Designer ein zentrales Motiv des christlichen Glaubens, die Darstellung des Letzten Abendmahls Jesu Christi mit seinen Jüngern, für Werbezwecke, ich möchte es milde ausdrücken, verfremdet. Auf dem arrangierten Foto wurden die Jünger dabei durch barbusige Models ersetzt. Als Christ empfinde ich dies als geschmacklos, aber auch ein Werbeplakat genießt den Schutz der Meinungsfreiheit. Als Bürger muss ich das ertragen. Tolerieren heißt ja auch wörtlich übersetzt: dulden oder ertragen. Das ist Teil der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unseres Landes. Loben muss ich es nicht.
Ob wir Bilder oder Karikaturen als ansprechend oder geschmacklos, als pointiert und witzig oder als wenig aussagekräftig empfinden, liegt in der Wahrnehmung eines jeden einzelnen. Und auch wenn eine Karikatur meinen Geschmack nicht trifft, so bin ich doch dafür, dass jeder hierzulande oder sonst wo in der Welt das zu Papier bringen kann, was durch das Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt ist.
Und wenn dann der Karikaturist wie der heutige Preisträger nach der Veröffentlichung mit dem Leben bedroht wird, überfallen wird und in übler Weise beschimpft wird, dann verdient er den Respekt und die uneingeschränkte Unterstützung von uns allen, von allen Demokraten in der Welt.
Du bist anderer Meinung als ich und ich werde dein Recht dazu bis in den Tod verteidigen
Voltaire hat gesagt: “Du bist anderer Meinung als ich und ich werde dein Recht dazu bis in den Tod verteidigen”. Drückt dieser Satz nicht das Größte aus, was in einer offenen demokratischen Gesellschaft in Bezug auf Meinungsfreiheit und Toleranz gesagt werden kann? Wir hatten nur nicht geglaubt, dass dieser Satz im 21. Jahrhundert noch aktuell sein könnte.
Das eben genannte ist eine Herausforderung an uns alle. Aber sie ist nicht die einzige Herausforderung, wenn wir auf die Zukunft der Medien blicken.
Wir alle haben das Gefühl, unser Alltag ist schneller, hektischer, gehetzter geworden. Davon bleiben auch die Medien nicht verschont. Moderne Telekommunikationstechnik, allen voran das Internet, hat eine ungeahnte Beschleunigung in der Übermittlung von Nachrichten bewirkt. Im Gegensatz zu einer Zeitungs- oder Fernsehredaktion, wo es einen Redaktionsschluss gibt, nachdem man mal ein bisschen durchschnaufen kann, ist das Internet rund um die Uhr offen.
Wenn ein Journalist um 16 Uhr Redaktionsschluss hat, seine Story aber noch nicht 100-prozentig “wasserdicht” ist, wird er sie eher auf den nächsten Tag verschieben. Und vielleicht ist das auch gar nicht so schlecht, weil er dann dazu kommt, den ein oder anderen Aspekt noch einmal zu überdenken.
Das Internet versetzt die Medien in einen “always-on”-Modus
Das Internet versetzt die Medien dagegen in einen “always-on”-Modus, jederzeit und überall verfügbar und immer mit dem Anspruch, stets das Neueste und Aktuellste vorzuhalten. Dabei ist zu befürchten, dass mit dem Gebot der Schnelligkeit die Qualität der Berichterstattung und damit die Glaubwürdigkeit verloren gehen. Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen renommierten Nachrichtenportalen und Twitter. Aber ich sehe mit Sorge den Erfolg virtueller Mund-zu-Mund-Propaganda und ihren Erfolg im Netz. Es ist offensichtlich, dass skurrile Selbstdarsteller, wilde Gerüchte und kühne Thesen schneller als zuvor oft mehr Verbreitung finden als professionell recherchierte Meldungen. Hier droht Gefahr für die Pressefreiheit, die wir nicht leichtfertig abtun dürfen.
Der Mut und das Engagement einzelner, die im Dienst der Meinungsfreiheit mit ihrer Kritik an bestimmten Zuständen Diskussionen anstoßen und dabei mit negativen Konsequenzen für die eigene Situation rechnen müssen, haben meine höchste Wertschätzung.
Gestern jährte sich zum vierten Mal der Todestag von Anna Politkowskaja, einer früheren Preisträgerin. Ihre Ermordung mahnt uns: Pressefreiheit ist keine Selbstverständlichkeit und ist noch an zu vielen Orten in der Welt gefährdet, auch an Orten, an denen wir nicht mehr damit rechnen konnten oder durften. So könnte man sich wünschen, dass wir eines Tages diesen Preis nicht mehr vergeben müssen, weil sich das Grundrecht auf Meinungs- und Pressefreiheit überall durchgesetzt hat. Aber das ist leider noch Zukunftsmusik.
Aber wenn dieser Leipziger “Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien” seine Preisträger weiter dazu antreibt, ihren Weg zu gehen und andere ermutigt, ihnen zu folgen, dann bewahren wir im besten Sinne das Erbe der Friedlichen Revolution.