Leiter des Ressorts Außenpolitik der Gazeta Wyborcza
Es gilt das gesprochene Wort.
Leipzig, 8. Oktober 2018
Gerade vor 29 Jahren in der Leipziger Nikolaikirche versammelten sich die Zehntausende der mutigen DDR-Bürger um gemeinsam für Frieden und Freiheit zu beten. Danach gingen sie in die Innenstadt demonstrieren. Die kommunistische Macht war bereit Gewalt gegen die Demonstranten anzuwenden. Hunderte von Volkspolizisten, Kampfgruppenmitglieder und sogar Soldaten wurden in die Stadt gezogen. In Krankenhäusern wurden zusätzliche Blutkonserven eingelagert, was ein erschreckender Beweis dafür war, dass die damalige SED-Führung mit Blutvergießen und Todesopfern gerechnet hat. Vermutlich hätten die Volkspolizisten und Mitglieder der Kampfgruppen ein Befehl bekommen die Menschenmenge, die das Gebäude des Leipziger Bahnhofes erreicht hatte, mit Schlagstöcke anzugreifen. Vermutlich hätte man sogar auf sie schießen lassen. Wenn 5.000 Menschen demonstriert hätten…Am 9. Oktober 1989 betrug die Zahl der Bürger die auf den Straßen von Leipzig nach Freiheit riefen 70.000 Menschen. Angesichts einer solchen Menge waren die damaligen Regierenden machtlos.
Als damals die Friedliche Revolution die DDR erreicht hatte, war in Polen, meinem Heimatland die kommunistische ära gerade endgültig beendet worden. Am 4. Juni fanden die ersten freien Parlamentswahlen statt, am 24. August wurde Tadeusz Mazowiecki, ein Intellektueller, der mit der freien Gewerkschaft Solidarność verbunden war, als erster nicht kommunistischer Ministerpräsident gewählt. Die in Polen initiierte Kettenreaktion hatte innerhalb weniger Monate das Unfassbare - wie man damals dachte - erreicht. Nämlich den von tausenden Soldaten, Panzern und Kampfflugzeugen geschützten Eisernen Vorhang zu sprengen. Nur einen Monat nach der großen Demonstration in Leipzig ist dessen Symbol - die Berliner Mauer - zu Fall gebracht worden.
Ich habe diese Ereignisse als 11 jähriger Schüler einer Grundschule in Kattowitz, Oberschlesien verfolgt. Für meine Generation war das Jahr 1989 eine Zeit des beschleunigten politischen Erwachsenwerdens. In die Zukunft schauten wir mit der sehr naiven Hoffnung, dass es unserem, von schweren wirtschaftlichen Krisen geschüttelten Land, schnell besser gehen würde. Die Verbesserung war leider nicht sofort spürbar und die ökonomische Transformation des Landes hat viel Leid erzeugt und meine Landsleute manchmal zu sehr großen Anstrengungen gezwungen. Die Bürger der ehemaligen DDR haben das gleiche erlebt und würden mir zustimmen, dass trotz allen positiven Veränderungen einige Narben dieses Wandels noch in unseren Gesellschaften sichtbar bleiben.
Vor 29 Jahren hofften wir auf noch etwas. Dass mit der autoritären Herrschaft einer Partei die - wie es in DDR 40 Jahre lang geschah - immer Recht hat, alles kontrolliert und über alles entscheidet, endgültig Schluss gemacht sei. Dass die Freiheiten der Bürger nie wieder begrenzt und die Menschenrechte verletz würden. Wir hofften, dass statt den aus dem 19. Jahrhundert stammenden Nationalismus zu kultivieren, die Nationen Europas, ermahnt durch die tragische Geschichte, die gemeinsame und nicht einfache Verantwortung übernehmen werden um unseren Kontinent im Frieden zu vereinigen.
Damals, als das Unvorstellbare passierte, schien das alles sicher. Heutzutage - mindestens aus meiner Warschauer Perspektive - nicht mehr.
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Die Zeiten sind ja turbulent. In Ländern Europas wachsen heute die Kräfte, die die demokratische Ordnung, die Gewaltenteilung, die Meinungsfreiheit verachten. Man hört wieder die alten nationalistische Parolen, die Geschichte wird instrumentalisiert und alte Feindschaften werden neu belebt. Das vereinigte Europa wird zum Feind und Hauptziel, der von Viktor Orban, dem Ministerpräsidenten von Ungarn entworfenen "kulturellen Konterrevolution". Auch ohne Orban zu zustimmen muss gesagt werden, dass Europa in einer kritischen Phase ist. Und dass betrifft nicht nur die inneren Angelegenheiten der EU. Es gibt die anderen Akteure, die an einer starken EU, die global agiert, kein Interesse haben und versuchen die Gelegenheit auszunutzen, um uns zu spalten und zu schwächen.
Frans Timmermanns, der erste Stellvertreter des EU-Kommissions-Präsidenten, zitierte, um die heutige Lage zutreffend zu beschreiben, den berühmten Philosophen Karl Popper. Er behauptete, dass wir nämlich Zeugen des Kampfes zwischen den Gegnern der offenen Gesellschaft und denjenigen, die sie verteidigen und weiter entwickeln wollen, sind.
In einer solch prekären Lage ist die Rolle der Freien Presse kaum zu überschätzen. Die Gesellschaft muss glaubwürdigt informiert werden, was los ist und wer wer ist. Diesen Bedarf können nur unabhängige, kritische Journalisten stillen. Diejenigen, die das, was sich hinter den Kulissen der Macht abspielt, enthüllen und erklären. Die, die Korruption und Missbrauch von öffentlichen Geldern aufdecken. Die den Politikern genau zuhören und erkennen, wenn sie lügen oder wenn sie das Blaue vom Himmel versprechen.
Die Aufgabe der Journalisten ist es den Regierenden ständig und wachsam auf die Hände zu schauen. Und wenn die Politiker einen tiefgehenden Wandeln versprechen, das Land wieder groß machen wollen, eine "We first" Politik betreiben wollen, gegen alle möglichen Gegner und Feinde im Lande oder im Ausland, dann müssen die Journalisten beispringen, um die Gesellschaft über die gefährlichen Folgen einer solchen Politik zu informieren.
Tausende Journalisten, von Los Angeles bis Warschau, Minsk und Moskau, trotzen den Schwierigkeiten und teilweise auch der Lebensgefahr und bleiben ihrer Mission treu. Ausgerechnet deswegen sind sie heute unter so heftigem Beschuss.
Nicht nur Donald Trump verspottet Journalisten, die ihm gegenüber kritisch sind. Nicht nur er lädt sie von Pressenkonferenzen aus und versucht, ihre Arbeit auf andere Weise zu erschweren. Ein solches - milde gesagt - unfreundliches Verhalten gibt es auch in vielen Länder Europas. Neuestes Beispiel: in Österreich hat das von der populistischen FPÖ geführte Innenministerium entschieden, dass die Kommunikation mit kritischen Medien wegen angeblich "sehr einseitigen und negativen Berichterstattungen…auf das nötigste Maß zu beschränken ist". Der tschechische Staatpräsident Milos Zeman beleidigte mehrmals die Journalisten vor laufenden Kameras. "Die Hyänen" war noch die netteste von den von ihm benutzten Bezeichnungen.
Nicht nur Donald Trump, der in jedem zu ihm kritischen Bericht "fake news" sieht, den Journalisten, die er als "biased" (parteiisch) oder sogar "crooked" (betrügerisch) die Glaubwürdigkeit abzuerkennen versucht, auch in Deutschland macht der alte Begriff "Lügenpresse" wieder Karriere. Vor ein paar Jahren habe ich das persönlich erfahren. Ich bin nach Dresden gefahren um das Phänomen Pegida zu beschreiben und nahm an einer Kundgebung auf dem Theaterplatz teil, als einer unter zirka 10.000 Teilnehmern. Plötzlich begann die Menschenmenge das Wort "Lügenpresse" zu schreien. Mit einem solchen puren Hass bin ich zum ersten Mal in meinem Leben konfrontiert gewesen. Ich überlegte damals, was wäre, wenn sie gewusst hätten, wer ich bin…
Während der Pegida Demonstrationen wurden die Journalisten mehrmals angegriffen. Ebenso während der Ausschreitungen in Chemnitz. Einige deutsche Kollegen haben danach berichtet, dass sie sich in Ägypten während der Unruhen des Arabischen Frühlings sicherer fühlten, als in manchen Orten in Ostdeutschland, wo gegen die angebliche Islamisierung des Abendlandes protestiert wird. Laut einem Bericht des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit aus Leipzig hat man nur in diesem Jahr mehr als 20 Angriffe gegen Journalisten in Deutschland verzeichnet.
Nicht nur in der Türkei wurden die unabhängigen, kritischen Medien von der Regierung und dessen Komplizen übernommen und zum Schweigen gebracht. Ministerpräsident Orban ist hier viel geschickter als Präsident Erdogan. Er schickt keine Polizei in die Redaktionen. Weder lässt er die Journalisten verfolgen oder im Knast einsperren. Die regierungstreuen Oligarchen kaufen die kritischen Medien einfach, bringen sie dann auf Linie oder schließen sie. Heutzutage gibt es in Ungarn keine unabhängige Zeitung mehr. Das letzte unabhängige Internetportal index.hu wurde gerade verkauft, die dort arbeitende Journalisten befürchten das Schlimmste.
Ähnliche Prozesse verlaufen in Rumänien, wo laut Berichten der renommierten NGO Reporter ohne Grenzen "die Medien zunehmend in politische Propagandainstrumente verwandelt werden, in denen eine exzessive Politisierung, korrupte Finanzierungsmechanismen, eine den Eigentümerinteressen untergeordnete redaktionelle Politik und die Infiltration durch die Nachrichtendienste zur neuen Normalität geworden sind".
Über die Zustände in Bulgarien attestiert die Organisation, dass "die Korruption und Absprachen zwischen Medien, Politikern und Oligarchen weit verbreitet" sind. Im World Press Freedom Index von allen EU Mitgliedern bekam Bulgarien die niedrigste Note.
Darüber hinaus dürfen wir nicht vergessen, dass nicht nur in Russland oder Mexiko Journalisten getötet wurden. Die Mörder von Daphne Caruana Galizia und Jan Kucak, mutige Enthüllungsjournalisten, die Verbindungen zwischen Mafia und Regierungen ihrer Länder durchleuchteten, müssen zur Rechenschaft gezogen werden.
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Auf dieser Liste muss leider noch Polen erwähnt werden. Nicht nur deswegen, da es sich um das Heimatland von Kollege Piątek und mir handelt. Polen ist ein Schlachtfeld wo die national-konservative Regierung der Partei Recht und Gerechtigkeit gegen die offene Gesellschaft gegen den Rechtstaat und nicht zuletzt gegen die unabhängigen Journalisten kämpft.
Die Lage ist ernst. Die in Polen regierende Partei versucht nach dem Muster von Orban die freien Medien unter Kontrolle zu bringen. Und nach dem Muster von Trump gibt sie sich alle Mühe, um sie zu diskreditieren. Und das alles ist nun ein Teil des autoritären Umbaus des Staates, den die Propaganda der Partei als einen "gute Wandel" darstellt.
Der Krieg gegen die Medien begann wenigen Wochen, nachdem die Partei Recht und Gerechtigkeit Oktober 2015 eine Mehrheit im Parlament erlangt hat. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen und der Rundfunk fielen ihr zuerst zum Opfer. Ein Gesetz, das der Regierung die volle Kontrolle über sie übertrug, wurde nur innerhalb von wenigen Sitzungstagen und -nächten verabschiedet, ohne jegliche Diskussion. Und trat sofort in Kraft.
Jarosław Kaczyński, der Anführer der Partei Recht und Gerechtigkeit, war damals entsetzt, dass die öffentlich-rechtliche Medien sehr sorgfältig und detailliert über die ersten Demonstrationen gegen die Regierung berichteten und befahl die schädliche Unabhängigkeit des nationalen Fernsehens und Rundfunks gesetzlich zu beenden.
Der im Kommunismus erzogenen Kaczyński war und ist der Meinung, dass die Medien der regierenden Partei untergeordnet sein müssen und die Regierungspolitik loyal unterstützen sollen. Diese Behauptung ist ein Bestandteil seiner politischen Vorstellung den Staat auf diese Weise umzubauen, sodass es keine Institution gibt, die imstande wäre die Regierung zu kontrollieren, zu beschränken, oder gar sich ihr zu widersetzen. Gewaltenteilung sei noch gewährleistet. Die Gerichte, das Parlament, lokale Verwaltungen sollen offiziell weiter ihre Funktionen ausüben. Aber nur als Hülsen unter dem Diktat der Parteizentrale, ohne jeglichen Einfluss auf politische Entwicklungen. Auf diese Weise funktioniert heute der Sejm, das polnische Parlament, wo keine richtige Debatte mehr staatfindet, weil die Rechte der Opposition beschränkt wurden. Im Juli wurde bei der Sitzung des Justizausschusses die Redezeit der Abgeordneten auf nur 30 Sekunden verkürzt.
Die Staatsanwaltschaft und Polizei engagieren sich offensichtlich in der Verfolgung der politischen Gegner. Man hat bis zu 1.000 Strafanzeigen in ganz Polen gezählt gegen Teilnehmer von Demonstrationen gegen die Regierung. Es reicht den Namen von Lech Wałęsa, dem legendären Anführer von Solidarnosc, deren Name die jetzt regierende Partei aus den Geschichtsbüchern entfernen will, zu skandieren, um angeklagt zu werden. Es reicht ein Banner mit dem Text "Verfassung" an einem Denkmal zu befestigen, um eine Ermittlung wegen Diffamierung des Denkmals (Höchststrafe: bis zu 3 Jahre Haft) zu initiieren, einschließlich einer Hausdurchsuchung.
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Seit Januar 2016 sind die öffentlich-rechtlichen Medien auch nur noch Hülsen. In der Tat dienen sie als schamlose Propagandakanäle für die regierende Partei, die Regierung und ihrer Unterstützer. Um diese Umwandlung schnell und reibungslos einzuleiten, begann man unverzüglich eine breite Säuberung der Redaktionskader.
Mehr als 200 Journalisten wurden aus Rundfunk und Fernsehen entweder entlassen oder zum Rücktritt gezwungen. Die Namen der wichtigsten Journalisten, die gehen sollten, wurden noch vor der Wahl von Parteipolitikern angekündigt.
Statt erfahrenen Journalisten wurden eifrige Mitarbeiter der mit der regierenden Partei verbundenen kleineren Fernsehsender und Internetportale eingestellt. Diese jungen, unerfahrenen, aber sehr gut bezahlten Leute haben keine Skrupel in ihrer Berichterstattung der Linie der Partei zu folgen. In polnischen Nachrichtensendungen wird ständig die "gute Regierung", die das Land wieder aufrichten und die von der Vorgängerregierung hinterlassenen Ruinen wieder aufbauen will - das sind die Schlagwörter, die die regierende Partei im Wahlkampf Jahr 2015 benutzte - gelobt. Besonders jetzt, im Wahlkampf vor den wichtigen Kommunalwahlen, wird jede Rede des Ministerpräsidenten, jede Versammlung der regierenden Partei live übertragen und kommentiert. Selbstverständlich von sorgfältig ausgewählten sogenannten Experten, derer Treue gegenüber der Partei ohne Zweifel ist.
Die Gegner der Partei werden bloßgestellt und diffamiert. Als Feinde, als Versager, als Kriminelle, als Verräter, weil sie es wagen mit ihren Klagen gegen Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit nach Brüssel zu gehen. Oder als ausländischen Agenten, weil sie mehr oder weniger ins Ausland vernetzt sind. Hauptfeind Polens ist die Europäische Kommission, die ein Strafverfahren gegen Polen eingeleitet hat und Frans Timmermans, der für das Verfahren zuständig ist. Auf der Liste der Feinde stehen natürlich auch die Deutschen und ihre Bundeskanzlerin Merkel, aber auch die Franzosen mit Präsident Macron. Wie in Ungarn beschäftigen sich die öffentlich Rechtlichen Medien auch mit George Soros. Und den Flüchtlingen, deren Aufnahme die national-konservative Regierung verweigert. Die Propagandasendungen versuchen den Eindruck zu erwecken, das Polen, das das Christentum und die traditionelle Familie verteidigt, eine von vielen Feinden belagerte Festung sei.
Man manipuliert, man lügt. Meine Eltern, Vertreter einer vor 50 Jahren geborenen Generation, behaupten, das zwar die Technik sich total geändert hat, die im von der regierenden Partei in den öffentlichen Medien eingesetzten Propagandamethoden ganz ähnlich zu denen geblieben sind, die man in den Zeiten der Volksrepublik Polen kannte. Die heutige Hauptnachrichtensendung des polnischen Fernsehens, die "Wiadomości", unterscheidet sich nicht von der damaligen "Dziennik Telewizyjny" (Fernsehjournal) oder seiner DDR-Version, der „Aktuelle Kamera“. Eine andere Ähnlichkeit mit den Zeiten der Volksrepublik: wir haben in öffentlichen Medien auch wieder mit der Zensur zu tun. Die für die Regierenden unbequemen Informationen werden oft verschwiegen. Aus der übertragung der Gdynia Film Festivals wurde die Aussage einer der Preisträger einfach rausgeschnitten, weil er über den Geschäftsführer des öffentlich-rechtlichen Fernsehens scherzte. Ein Interview mit dem Pressesprecher der Polizei wurde geschnitten, weil er Proteste von Polizisten unterstützt hat.
Die Mehrheit der neuen Mitarbeiter der öffentlichen Medien ist leider zu jung, um zu verstehen, dass sie ausgerechnet das machen, was die Agit-Prop Funktionäre aus den 80iger Jahren bereits machten. Oder sie verstehen es sehr gut, aber…
Das öffentlich-rechtliche Fernsehen und der Rundfunk verlieren massiv an Publikum. Man erklärt das damit, dass das ausländische Unternehmen, welches die Zuschauerzahlen misst, die Ergebnisse fälscht.
Diese Erklärung ist genauso glaubwürdig, wie die oft wiederholte Behauptungen, das die polnische Opposition ihre politische Strategie mit dem Bundeskanzleramt abstimme und dass das Auswärtigen Amt die deutschen Journalisten unterrichtet wie über polnische national-konservativen Regierung berichtet werden soll.
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Die privaten Medien bleiben bisher außerhalb der Kontrolle der Partei und ihrer Regierung. Das betrifft auch die Gazeta Wyborcza, die älteste unabhängige Zeitung in Osteuropa und eine von nicht so vielen, die noch übrig sind. Das heißt aber nicht, dass die Regierenden darauf verzichtet haben, die unabhängigen Journalisten an der kurzen Leine zu halten. Das Kultusministerium arbeitet unter absoluter Geheimhaltung an einem neuen Mediengesetz, die die Medien in Polen wieder in polnische Hände übergeben soll. Das würde bedeuten, dass zum Beispiel Axel Springer, Besitzer von mehreren Pressetitel in Polen oder Discovery Network, Besitzer des großen Fernsehsenders TVN, per Gesetz gezwungen werden die Anteile an ihren Medien an polnischen Unternehmen zu verkaufen. Es ist zu vermuten, dass diese polnischen Unternehmen, wie es in Ungarn passierte, mit den Regierenden verbunden sind. Der erzwungene Ausverkauf wird also eine feindliche Übernahme bedeuten. Die privaten Medien, die keinen ausländischer Besitzer haben - wie Gazeta Wyborcza - sollen dekonzentriert werden.
Diese Maßnahmen gehen nicht mit dem EU-Recht konform. Aber wenn die Regierung anstrebt die Kontrolle über die Justiz zu übernehmen, was einen Verstoß gegen EU Recht darstellt - kann man in diesem Fall mit der EU rechnen? Vor zwei Wochen sagte eine Abgeordnete der regierenden Partei, dass das Gesetz fast fertig sei.
Darüber hinaus sind die regierungskritischen Journalisten ständig unter Beschuss. Die Regierungsmedien verspotten uns tagtäglich. Hass gegen uns ergießt sich in den sozialen Netzwerken. Nach Trumpschen Muster versucht man auf diese Weise uns unserer Glaubwürdigkeit zu berauben. Mit Schimpfwörtern von Spinner bis hin zu Volksverräter und Volksdeutscher (wie in meinem Fall geschehen) werden wir verleumdet.
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Tomasz Piątek kann viel darüber erzählen. Als sein Buch über die verdächtigen Verbindungen des damaligen Verteidigungsministers Antoni Macierewicz nach Russland 2017 erschien, wurde wochenlang von den regierungstreuen Medien auf verschiedenste und vor allem auf schamlose Weise angegriffen. In einem demokratischen Land würde es mindestens eine Ermittlung oder eine interne Prüfung geben, wenn ein solches Buch über ein wichtiges Regierungsmitglied erscheinen würde. Das war aber nicht der Fall.
Ganz im Gegenteil. Minister Macierewicz hatte gefordert, dass die Staatsanwaltschaft über Piątek ermittelt. Macierewicz hat dem Journalisten vorgeworfen, dass er mit der Veröffentlichung seines Buches "Gewalt oder Drohungen" gegen den Verteidigungsminister angedroht und ihn als einen Staatsfunktionsträger verleumdet hat. Das polnische Strafgesetzbuch sieht für dieses Verbrechen eine Freiheitstrafe von bis zu drei Jahren vor. Also hätte Tomasz Piątek für sein Buch im Knast büßen können. Glücklicherweise wurde in Januar 2018 die Regierung umgebildet und Macierewicz von seinem Posten enthoben. Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlung inzwischen eingestellt.
Ein Versuch einen Journalisten wegen angeblicher Gewaltanwendung und Verleumdung gegen den Minister vor Gericht zu bringen schaffte einen gefährlichen Präzedenzfall.
Jeder Journalist, der irgendetwas Unangenehmes entdeckt, das in Verbindung zu wichtigen Politikern der in Polen regierenden Partei steht, muss damit rechnen, das ihm ähnliches vorgeworfen wird. Und es geht nicht nur um Abschreckung. Die mit der regierenden Partei verbundene Präsidentin des Verfassungsgerichtes, über deren Verbindungen zu Geheimdiensten die Gazeta Wyborcza berichtete, hat ebenfalls die Staatsanwaltschaft angerufen und eine Ermittlung wegen Verleumdung eines Staatsfunktionärs gefordert.
Die Journalisten der "Onet", eines großen Internetportals im Besitzt von Ringer-Axel Springer, haben vor einer Woche ein mitgeschnittenes Gespräch von Ministerpräsidenten Morawiecki veröffentlicht. Morawiecki sagte unter anderem, dass er auf illegale Migranten aus Afrika schießen lassen würde. Außerdem hatte er in jenem Gespräch die Bundeskanzlerin für ihre Wirtschaftspolitik gelobt. Sein Zynismus wurde enthüllt und sein bis dahin gutes Ansehen eines liberalen, menschennahen Politikers beschädigt.
Die "Onet"-Journalisten wurden sofort von der Partei und regierungstreuen Medien heftig angegriffen. Unter anderen wurde offen angekündigt, dass "Onet" als Teil eines deutschen Medienkonzerns den Ministerpräsidenten auf Befehl aus Berlin angegriffen habe.
Ich muss es ehrlich sagen dass ich nicht sicher bin, ob die Maßnahmen die man gegen Tomasz Piątek versuchte, nochmals und diesmal in Gänze eingeleitet werden oder der ob das im Geheimen gerade im Entstehen begriffene Gesetz über die Repolonisierung der Medien eines Tages plötzlich auf der Tagesordnung des polnischen Parlaments auftauchen wird.
Die Partei Recht und Gerechtigkeit ist bestrebt die Justiz zu kontrollieren. Die Übernahme, wegen der Proteste der Bevölkerung immer leiser vorangetrieben, geht langsam weiter. Aber es kann nicht ausgeschlossen werden, dass bald die letzte Hochburg des unabhängigen Justizwesens, das Höchste Gericht "erobert" und die Mehrzahl der Richter einfach pensioniert und durch neue, parteitreue Richter ersetzt wird.
Im diesen Fall werden die Journalisten vogelfrei. Gegen jeden könnte ein absurder Vorwurf, wie im Fall von Tomasz Piątek, erhoben werden. Die Strafprozesse und die Verurteilungen wären dann nur noch eine Formalität.
In Artikel 2 des Vertrages der Europäischen Union steht, dass "die Werte, auf die sich die Union gründet, die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören, sind. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam".
Die EU-Kommission begründet ihr Vorgehen gegen Polen und Ungarn damit, dass die Rechtsstaatlichkeit, von denen in diesem Artikel die Rede ist, in diesen Ländern missachtet wird. Die Eingriffe gegen die Freie Presse die ich beschrieben habe, und die nicht nur in Polen oder Ungarn stattfinden, sind als Verstöße gegen das Freiheitsgebot, das auch in Artikel 2 des Vertrages beschrieben wird, zu verstehen.
Und deswegen bin ich der Meinung, dass die EU auch den Bereich der Pressefreiheit besser schützen muss. Die unterdrückten und bedrohten Journalisten überall in Europa müssen den Schutz der EU bekommen.
Der Europäische Gerichtshof hat vor gut 6 Monaten entschieden, dass alle Richter in der Union auch EU Richter sind, weil sie europäisches Recht anwenden. Daher glaubt die EU-Kommission berechtigt zu sein die Richter des höchsten Gerichts in Polen in Schutz zu nehmen.
Heutzutage, in der Zeit der großen, sehr geschickt durchgeführten Desinformationskampagnen, des massiven Einsatzes von Bots in sozialen Netzwerken, einer Überschwemmung durch sog. Fakenews, spielen unabhängige Journalisten eine geringere Rolle in der EU als unabhängige Richter?
Die EU hat die Mittel, um die Mitgliedsländer nicht nur zu ermahnen unbeschränkte Freiheit der Presse zu gewährleisten, sondern sie auch dazu zu zwingen. Und diese Mittel sollen eingesetzt werden!
Our liberty depends on the freedom of the press, and that cannot be limited without being lost / Unsere Freiheit hängt von der Pressefreiheit ab, und die kann nicht eingeschränkt werden, ohne verloren zu gehen - schrieb Thomas Jefferson, einer der Mitbegründer der Vereinigten Staaten von Amerika und dritter US-Präsident. Diese Wörter beinhalten eine Warnung, die durch alle Europäer endlich ernstgenommen werden muss.