"Gelindes Grausen" sind die Tagebücher 2011 - 2013, mithin aus den letzten Lebensjahren von Erich Loest, überschrieben. Ein "Gelindes Grausen" würde den literarischen Kopf und politischen Querdenker Erich Loest wohl auch in heutigen Zeiten erfassen: Ein Mensch, der Krieg an der Front erlebt hatte, ein Mann, der die Teilung seines Vaterlandes, Diktatur, Gefängnis, Exil, aber auch literarische Ehren, Wiedervereinigung und Heimkehr erfuhr - wie gern würde man seine Stimme, seine Meinung aktuell hören. In einer Zeit, in der ein verbrecherisches Regime seinen nach Demokratie und Freiheit strebenden Nachbarn überfällt (am Tag von Erich Loests Geburtstag) und dabei ein Land, ein Volk nicht nur geografisch und politisch, sondern kulturell auszulöschen gedenkt. In einer Zeit, in der zugleich in Deutschland, gar im geliebten Sachsen, immer mehr Menschen politisch extremen Positionen ihre Stimmen zu geben bereit scheinen. Loests mahnende Stimme, sie fehlt.
Mit Erich Loest haben wir heute vor zehn Jahren einen wahrheitsliebenden und mutigen Freund verloren. Loest hat Medienstiftung und Kultur- und Umweltstiftung Leipziger Land der Sparkasse Leipzig seit der Gründung mit großem persönlichem Einsatz, Tatkraft und innerer Überzeugung begleitet. Sein Rat war uns wichtig, seine Meinung, stets geradlinig und unversteckt, wurde gehört. Loest hielt als unbequemer politischer Querdenker und literarischer Kopf den Leipzigern und den Deutschen immer wieder einen Spiegel vor, der nicht nur bequeme Wahrheiten zeigte.
Erich Loest, 1927 in Mittweida geboren, gehörte zu den renommiertesten deutschen Schriftstellern. Seine Arbeiten als freiberuflicher Autor in den 1950er Jahren wiesen ihn früh als selbständigen Denker aus. Wegen konterrevolutionärer Gruppenbildung wurde Loest vom SED-Regime 1957 verhaftet, zu siebeneinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt und mit Schreibverbot belegt. Kriminalromane, Erzählungen und Romane stärkten nach seiner Haftentlassung 1964 sein Ansehen als Schriftsteller in Ost- wie Westdeutschland. 1981 kehrte er von einer BRD-Reise nicht in die DDR zurück und siedelte sich in Osnabrück, später in Bad Godesberg an. Im April 1990 wurde Erich Loest vom Obersten Gericht der verschwindenden DDR voll rehabilitiert, im gleichen Jahr wurde er wieder Bürger Leipzigs. 1998 verlegte Loest seinen Erstwohnsitz zurück in die Stadt der Friedlichen Revolution.
Erich Loest war literarischer Chronist deutscher und Leipziger Geschichte, der in seinem Roman "Nikolaikirche" der Friedlichen Revolution in der DDR ein Denkmal setzte, in "Völkerschlachtdenkmal" die Leipziger Geschichte zwischen Napoleon und Honecker nachzeichnete. "Ich bin Leipziger Schriftsteller", bekannte er anlässlich der Schenkung seines literarischen Vorlasses an die Kultur- und Umweltstiftung.
Und Erich Loest war immer auch Freund und leidenschaftlicher Mensch - so wären wir genauso neugierig auf seine Kommentare zum Status des Fußballs in Deutschland. Eine Meinung dazu hätte er, als begeisterter Fussball-Anhänger der BSG Chemie Leipzig, ganz sicher gehabt.
Seinem Andenken hat die Medienstiftung der Sparkasse Leipzig einen Literaturpreis mit seinem Namen gewidmet: Er ehrt literarische wie politische Charakterköpfe wie ihn, der am 12. September 2013 aus dem Leben schied.