Deniz Yücel und Asli Erdoğan werden mit dem "Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien 2017" der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig ausgezeichnet
Leipzig, der 6. Juli 2017. Der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel und die türkische Journalistin Asli Erdoğan werden in diesem Jahr gemeinsam mit dem mit 30.000 Euro dotierten Leipziger "Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien" geehrt. Mit Deniz Yücel und Asli Erdoğan wurden nach Ahmet Altan (2009), Nedim Şener (2015) sowie Can Dündar und Erdem Gül (2016) erneut Preisträger gewählt, die durch die türkische Justiz unter Präsident Erdoğan bedroht werden bzw. bereits inhaftiert sind. Durch die Wahl ihrer Preisträger solidarisiert sich die Medienstiftung mit allen aufgrund ihres Einstehens für eine freie Berichterstattung unter massiven Repressionen stehenden Journalisten in der Türkei.
"Mit der Vergabe unseres Preises an Deniz Yücel und Asli Erdoğan ist ein Versprechen an den zum G20-Gipfel in Deutschland weilenden Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan verbunden. Seine Regierung und er werden die Forderung nach einer Rückkehr zur Pressefreiheit und nach Freilassung willkürlich verhafteter Journalisten ebenso wenig loswerden wie die Verantwortung für ihr politisches Handeln, für das sie eines Tages werden Rechenschaft ablegen müssen", erklärt Stephan Seeger, Geschäftsführender Vorstand der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig.
"Ein bekanntes Wort des Theologen Martin Niemöller endet mit der Zeile: 'Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte'. In diesem Sinne betont die Jury des Medienpreises, dass wir uns nicht an die Verfolgung von Journalisten in der Türkei gewöhnen werden", bekräftigt Seeger. "Mit Deniz Yücel und Asli Erdoğan ehren wir zwei Journalisten, die ernsthaft und streitbar ihrer Arbeit nachgehen, die das einstige Demokratieversprechen der türkischen Republik ernstnehmen und die wegen ihrer kritischen Berichterstattung durch eben diese Republik verfolgt werden."
"Wir begrüßen die Wahl der Preisträger sehr“, sagt Lutz Kinkel, Geschäftsführer des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit in Leipzig. Kinkel weiter: "Präsident Erdoğan trampelt auf der Europäischen Charta für Pressefreiheit herum und entfernt sich damit immer weiter vom demokratischen Konsens Europas. Mit Gummiparagrafen versucht die türkische Justiz, oppositionelle Stimmen zum Schweigen zu bringen. Deniz Yücel ist einer von mehr als 150 inhaftierten Reporterinnen und Reporter. Wir müssen Präsident Erdoğan klarmachen: Journalismus ist kein Verbrechen."
Die Statements früherer Leipziger Medienpreisträger zur diesjährigen Preisvergabe und der Situation in der Türkei finden Sie hier. Die Preisverleihung findet am 6. Oktober 2017 in Leipzig statt.
Statements der Leipziger Medienpreisträger
Über die Preisträger:
Deniz Yücel
wurde 1973 in Flörsheim am Main geboren und besitzt die deutsche und türkische Staatsbürgerschaft. 1996 begann er ein Studium der Politikwissenschaft an der FU Berlin. Seit 1999 war er als freier Autor für Medien wie den Tagesspiegel, die taz, die Süddeutsche Zeitung, den Standard sowie den BR, den NDR und den WDR. Zwischen 2007 und 2015 arbeitete er als Redakteur der taz. Seit 2015 ist Deniz Yücel Türkei-Korrespondent der WeltN24-Gruppe. Am 25. Dezember 2016 wurde Yücel erneut verhaftet. Ihm wird vorgeworfen, "Propaganda für eine terroristische Vereinigung und Aufwiegelung der Bevölkerung" betrieben zu haben: Er hatte über gehackte E-Mails von Berat Albayrak, türkischer Energieminister und Schwiegersohn des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan, berichtet, die Korruption nahelegten. Zur Fahndung ausgeschrieben, begab sich Yücel im Februar 2017 freiwillig in Polizeigewahrsam. Im März 2017 ordnete ein Richter Untersuchungshaft an. Nun wird Yücel Terrorpropaganda vorgeworfen, weil er ein Interview mit dem PKK-Anführer Cemil Bayik geführt hatte. Seine strafrechtliche Verfolgung gilt als politisch motiviert.
Asli Erdoğan
wurde 1967 in Istanbul geboren. Ab 1983 studierte sie Informatik und Physik an der Bosporus-Universität, anschließend arbeitete sie an der Fakultät für Physik dieser Universität und war Mitarbeiterin am CERN in Genf. 1990 verfasste sie ihre erste Novelle, 1996 wurde ihr erster Roman "Mucizevi Mandarin" ("Der wundersame Mandarin") veröffentlicht. Anschließend konzentrierte sie sich auf ihre Arbeit als Autorin. Der Durchbruch als Schriftstellerin gelang ihr 1998 mit ihrem dritten Buch "Kırmızı Pelerinli Kent" ("Die Stadt mit der roten Pelerine"). Zwischen 1998 und 2001 verfasste sie Kolumnen für die linksliberale türkische Tageszeitung "Radikal" und berichtete über die Bedingungen in türkischen Gefängnissen, über Gewalt gegen Frauen und staatliche Repressionen gegen Kurden. Darüber hinaus wirkte sie im P.E.N.-Komitee "Schriftsteller in Haft". 2010 erhielt sie für ihren Roman "Taş Bina ve Diğerleri" ("Steingebäude") den Sait-Faik-Literaturpreis, den bedeutendsten Literaturpreis der Türkei. In den Folgejahren führten sie Stipendien unter anderem nach Zürich und Graz, anschließend arbeitete sie für die türkisch-kurdische Zeitung "Özgür Gündem". Am 16. August 2016 wurde Asli Erdoğan im Rahmen einer Verhaftungswelle bei "Özgür Gündem" festgenommen, nachdem die Staatsanwaltschaft die Schließung der Zeitung angeordnet hatte. Erdoğan wird "Propaganda für eine illegale Organisation", "Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation" sowie "Volksverhetzung" vorgeworfen, als Beweismittel dienen ihre Artikel und Kolumnen. Im November 2016 forderte der Staatsanwalt lebenslange Haft für die Schriftstellerin, am 29. Dezember 2016 wurde der Prozess eröffnet. Am ersten Prozesstag ordnete der Richter aus gesundheitlichen Gründen ihre Entlassung aus der Untersuchungshaft an. Der Prozess wurde fortgesetzt und eine Ausreisesperre verhängt, die im Juni 2017 vorerst wieder aufgehoben wurde.
Über den Leipziger "Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien":
Mit dem "Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien" ehrt die Medienstiftung der Sparkasse Leipzig seit 2001 jährlich Journalisten, Verleger und Institutionen, die sich mit hohem persönlichem Einsatz für die Freiheit und Zukunft der Medien engagieren. Der Preis soll auch die Erinnerung an die friedliche Revolution in Leipzig am 9. Oktober 1989 wachhalten: Damals forderten die Demonstranten "eine freie Presse für ein freies Land".