"Ein starkes Zeichen gegen Antisemitismus"

Hans Joachim Schädlich mit Erich-Loest-Preis 2019 geehrt

Leipzig, der 24. Februar 2019. Am heutigen Sonntag, den 24. Februar 2019, wurde Hans Joachim Schädlich mit dem Erich-Loest-Preis 2019 ausgezeichnet. Der von der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig im Andenken an den 2013 verstorbenen Leipziger Schriftsteller und Ehrenbürger Erich Loest ins Leben gerufene Preis ist mit 10.000 Euro dotiert und wird an dessen Geburtstag zum zweiten Mal verliehen. Dr. Harald Langenfeld, Vorstand der Medienstiftung und der Sparkasse Leipzig, würdigte den Preisträger: "Alle Repressalien, die er erdulden musste, hinderten Hans Joachim Schädlich nie daran, sich in seinen Werken, in der Auseinandersetzung mit historischen Figuren und Stoffen immer gegen die Anmaßung der Macht zu wenden." Stimmen wie die des Preisträgers seien notwendig: "Fremdenhass, Vertreibung und Flucht sind Themen, mit denen sich auch das Europa der Gegenwart auseinandersetzen muss. Daher brauchen wir umso mehr starke Stimmen, die Missstände aufdecken, die mutig für Freiheit, für Weltoffenheit, für Demokratie, für Humanität einstehen. Die dafür kämpfen - auch in Wort und Schrift."

Preisträger Hans Joachim Schädlich bedankte sich für den Preis, den er vor allem in Würdigung für seinen Roman "Felix und Felka" erhalten hat. Er habe versucht, die letzten Lebensjahre von Felix Nussbaum und Felka Platek literarisch darzustellen, sein Roman sei "ein Versuch, die beiden für mich - und vielleicht für andere - lebendig zu machen." Schädlich sagte: "Die Jury hat ihre Entscheidung als Würdigung meines Buches 'Felix und Felka' verstanden. Ich verstehe die Entscheidung der Jury als ein starkes Zeichen gegen Antisemitismus und antijüdische Hetze." Er beobachte, wie der Antisemitismus 70 Jahre nach dem Holocaust in der deutschen Bevölkerung lauter werde und sich Fremdenfeindlichkeit ausbreite. Angst vor dem Fremden mag archaische Ursachen haben, so Schädlich: "Dass der urzeitliche Reflex in neuzeitlichen Gesellschaften noch wirksam ist, beobachtet man am Misstrauen und an der Feindschaft vieler Menschen gegen das, was ihnen fremd ist", so Schädlich. In Anlehnung an Max Mannheimer erinnerte er die jüngeren Generationen an ihre Verantwortung, dafür zu sorgen, dass sich ein Völkermord wie der an den europäischen Juden nicht wiederholt (Die vollständige Rede von Hans Joachim Schädlich finden Sie hier).

Zuvor hatte Tilman Spreckelsen, Redakteur im Literaturressort der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in seiner Laudation Hans Joachim Schädlich gewürdigt: Er erweise sich "als ein Virtuose der poetischen Bewegung, als einer, der mit leichter Hand und immer feiner werdendem Pinsel eine unmerkliche Transformation nachzeichnet". In "Felix und Felka" habe er unter allen ästhetischen Möglichkeiten eine Form gewählt, "die sich durch sprachliche Knappheit auszeichnet, auch durch den Verzicht auf den Anschein allzu großer Einfühlung. […] Er zielt gerade nicht auf eine möglichst naturalistische Beschreibung und es geht ihm schon gar nicht um eine Darstellung, die die Distanz zwischen jener Zeit und unserer überbrückt". Gerade "durch geschickt angebrachte Leerstellen" erwachse in der Phantasie des Lesers "ein Gespür für den wachsenden Schatten, der über diesen Existenzen liegt."

Die Jury unter Vorsitz von Hartwig Hochstein, Chefredakteur a. D. der Leipziger Volkszeitung, hatte ihre Entscheidung für Hans Joachim Schädlich begründet: "Schädlich gibt, wie in früheren Büchern, keine Meinungen vor, sondern regt zum Selberdenken an. Sapere aude, habe Mut, Dich Deines Verstandes zu bedienen - dieses Kantsche philosophische Leitmotiv ist für ihn auch literarisches Programm." Prof. Dr. Josef Haslinger, Leiter des Deutschen Literaturinstituts der Universität Leipzig und Mitglied der Jury, lobte im Rahmen der Preisverleihung: "Schädlich war immer ein Sprachkünstler. Für ihn als studiertem Linguisten wird Sprache immer ein Gebilde bleiben, das es zu bearbeiten gilt." Schädlich reduziere zunehmend seine Sprache, seine Stimme erhalte damit immer mehr Authentizität.

Zum Preisträger:

Hans Joachim Schädlich wurde 1935 in Reichenbach im Vogtland als Sohn eines Kaufmanns geboren, wo er zunächst auch die Volksschule besuchte. Von 1954 bis 1959 studierte er Germanistik und Linguistik an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie an der Universität Leipzig, wo er 1960 mit einer Arbeit zur Phonologie des Ostvogtländischen promoviert wurde. Anschließend war Schädlich wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Akademie der Wissenschaften der DDR in Berlin, bis er wegen seines Protests gegen die Biermann-Ausbürgerung seines Postens enthoben wurde. 1977 wurde seinem Ausreiseantrag in die Bundesrepublik stattgegeben, wo er seit 1979 in West-Berlin lebt. Ende der 1960er Jahre legte Schädlich erste literarische Texte vor, die jedoch in der DDR nicht veröffentlicht werden konnten. 1986 legte Schädlich mit "Tallhover" einen ersten Roman vor, mit dem er sich im bundesdeutschen Literaturbetrieb etablierte. Zahlreiche Romane, Erzählbände, Essays und Aufsätze folgten, zuletzt "Felix und Felka".

Zum Preis:

Der mit 10.000 Euro dotierte Preis wird von der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig im Andenken an den Schriftsteller Erich Loest alle zwei Jahre vergeben. Erich Loest war den Stiftungen der Sparkasse zeitlebens eng verbunden - als Gründungsmitglied der Medienstiftung und als Mäzen der Kultur- und Umweltstiftung, der er seinen literarischen Nachlass übereignete. Der Preis würdigt Autoren, die die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in Deutschland nicht nur beschreiben, sondern mit ihrer Stimme den demokratischen Diskurs mitgestalten. Zudem sollen die Preisträger dem mitteldeutschen Raum verbunden sein. Erster Preisträger war im Jahr 2017 Guntram Vesper.


Preisträger:
2019 - Erich-Loest-Preis