Die positiven Grautöne
Frieden oder Krieg, Leben oder Tod - in seiner Karriere als ARD-Korrespondent stand Thomas Roth schon vor vielen absoluten Fragen. Roth berichtete aus Johannesburg vom Apartheids-Konflikt in Südafrika genauso wie aus Moskau vom Zerfall der Sowjetunion und vom ersten Tschetschenienkrieg. Heute ist Thomas Roth Studioleiter des ARD-Hauptstadtstudios. Die politischen Fragen sind nicht mehr existenziell, aber immer noch notwendig. Beim Kamingespräch der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig plädierte der 54-Jährige leidenschaftlich für den politischen Journalismus. "Politik-Vermittlung ist nicht nur möglich, sie muss möglich sein."
Von Carsten Upadek
Gaga-TV gibt es genug im Fernsehen. Aber warum der Öl- an den Gaspreis gekoppelt ist, das geht jeden etwas an. "Politik ist alles das, was sich jeden Tag in der wirklichen Gesellschaft abspielt", sagt Thomas Roth. Was da passiert, vermitteln politische Journalisten wie er. "Alles ist schneller geworden und die Politik schwieriger. Wer einmal auf das Gesetz zur Rentenformel geschaut hat, weiß was ich meine." Der Job des politischen Journalisten sei, das verständlich zu machen. Deshalb rät Thomas Roth seinen Redakteuren im Berliner Studio und auch den jungen Journalisten beim Kamingespräch, die Leute von den "Gaga-Shows abzuholen", Beispiele zu bringen und mit guten Ideen Politik zu erklären.
Das ist seit mehr als 25 Jahren seine Maxime. Thomas Roth volontierte ab 1980 beim damaligen Süddeutschen Rundfunk, war dort landespolitischer Redakteur, später beim "Weltspiegel". Er arbeitete als Korrespondent in Kairo, Johannesburg und Moskau, war von 1995 bis 1998 Hörfunkdirektor beim WDR, ging dann erneut nach Russland und übernahm 2002 das Hauptstadtstudio der ARD als Leiter und Chefredakteur.
Dort moderiert er den "Bericht aus Berlin", spricht Kommentare für die "Tagesschau", kümmert sich um die Studioverwaltung oder trifft sich mit Politikern. "Am liebsten verabrede ich mich zum Frühstück", sagt Roth. "Dann werden die Abende nicht zu lang." Er hat nichts gegen "Nähe" von Politikern und Journalisten. "Schließlich müssen wir ja wissen, wie jemand tickt. Und auch Politiker wollen sich verständlich machen." Deshalb wären Hintergrundgespräche enorm wichtig. So ist Roth auch Teil des so genannten "Wohnzimmerkreises", einer Gruppe von Journalisten, die wechselseitig Politiker nach Hause einladen, um zu diskutieren. "Das hilft, um einander zu verstehen", sagt Roth. "Die Frage dabei ist, wie man mit dem Verhältnis Politik und Journalismus umgeht. Der Journalismus hat dann verloren, wenn man etwa einen Beitrag aus Gefallen macht."
Die Beziehung zwischen Journalisten und Medienschaffenden sei jedoch meist weniger beschaulich. "Der Beruf hat viel mit Warten zu tun - klar, dass das einen meutenartigen Eindruck macht." Und er verstehe auch, dass Politiker diesen Rummel nicht immer mögen. "Aber ich kann auch nicht sagen, dass alles super ist, wenn man bei minus 10 Grad ein, zwei Stunden vor dem Kreml in Moskau wartet, wie jüngst beim Besuch der Kanzlerin." Am Ende brauchen sich aber beide, der Journalist den Politiker und der Politiker den Journalisten.
Zwei Stunden lang beantwortet Thomas Roth beim Kamingespräch die Fragen der jungen Journalisten. Der Salon der Leipziger Medienstiftung ist wie immer voll. Roth erzählt von Berlin, seiner Zeit als Moskau-Korrespondent und der Situation dort. Bewegende Momente sind dabei. Etwa, als er über eine Bombennacht von Grosny berichtet. Während Roth live auf Sendung bei den ARD-Tagesthemen ist, beginnt die Bombardierung der Stadt. Oder wie er einen Freund während des Putsches in Russland 1993 verlor. Es geht um die Gefahr, zwischen die Fronten zu geraten und bei der Konfliktberichterstattung selbst ums Leben zu kommen. Diese Erlebnisse seien ultimativ, würden einen ganz erfassen. Deshalb folgte Roth vor vier Jahren dem Ruf nach Berlin. "Nach diesen absoluten Fragen ist es ganz wichtig sich wieder zurückzunehmen. Sonst droht, dass man die positiven Grautöne nicht mehr wahrnimmt."
Inzwischen schaut er sich schon mal wieder nach Moskau um, schließlich läuft sein Vertrag nächstes Jahr aus. "Ich bin den Russen sehr zugeneigt", sagt Roth. Auch wenn die Arbeit für westliche Journalisten unter Putin schwerer geworden sei. "Aber im Großen und Ganzen bin ich für Russland immer zugänglich." Das wäre dann nach 1993 bis 1995 und 1998 bis 2002 die dritte Amtszeit für Thomas Roth. Aber ein russisches Sprichwort sagt ja: "Ni kto ni znajet nitschewo!" Keiner weiß was Genaues.
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Die Kamingespräche in der Villa Ida finden in unregelmäßigen Abständen in den Wintersemestern statt. Sie werden gemeinsam vom Lehrstuhl Journalistik I (Prof. Dr. Michael Haller), der Fachschaft der Kommunikations- und Medienwissenschaft sowie der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig veranstaltet.