Ich war nur Satiriker
Hartmut Berlin, Chefredakteur des Satiremagazins Eulenspiegel, über Pflicht zur Ungerechtigkeit, Satire in Diktatur und Demokratie und seine Rolle in der DDR. Ein Sommergespräch in der Villa Ida.
von Christian Mörsch
Splitterfasernackt steht Heidi Klum am Strand und lugt mit einem Auge unter ihrem strohblonden Pony hervor auf den Minister der Finanzen Hans Eichel neben ihr. Der hält behutsam ihre linke Brust in den Fingerspitzen und nimmt Maß. Mit dem Zollstock prüft Eichel Heidis Oberweite. Sein Knie verdeckt dabei notdürftig die Scham des Topmodels. Hinter den beiden wartet Boris Becker mit dämlich naivem Gesichtsausdruck. Er ist eine Karikatur wie auch Hans und Heidi - das Titelbild des Eulenspiegels, der vor Hartmut Berlin auf dem massiven, runden Holztisch liegt.
Berlin ist der Chefredakteur des Satiremagazins aus der Hauptstadt und zu Gast beim Sommergespräch in der Villa Ida der Medienstiftung. Vor einer Stunde hat er an der Universität eine Vorlesung vor Journalistikstudenten gehalten. "Drei Mal haben sie gelacht", sagt Berlin und lacht selbst auf. Eine maßlose Untertreibung glaubt man, wenn man ihn näher betrachtet. Der Satiriker sitzt da, umgeben von Zuschauern, gelassen trotz der vielen Augen, die ihn erwartungsvoll anblicken. Vor ihm ein Glas Weißweinschorle, in der Hand eine Zigarette, seine Augen blitzen auf, hinter der Stirn wird mit Sicherheit gerade die nächste Unverschämtheit ausgebrütet, die Lippen umspielt ein spöttisches Lächeln. Eine geladene Kanone ist Berlin - Jederzeit kann aus ihr eine Salve bitterböser Satire geschossen kommen. Das Ziel? Wer weiß?
Drei Mal haben die Studenten gelacht? Unmöglich! Der Hörsaal muss getobt haben. Direkt nach der Vorlesung hat eine ganze Schar Studenten Berlin wegen eines Praktikums bestürmt. "Dabei ist es bei uns genauso langweilig wie in anderen Redaktionen", schmunzelt Berlin, "Satiriker sind eitel, arrogant und es leid sich mit sich selbst zu beschäftigen. Es ist todlangweilig bei uns". Der Redaktionsalltag beim Eulenspiegel beginnt früh morgens um elf Uhr und endet manchmal schon um Zwei. Bis dahin wird viel in Zeitungen und Zeitschriften geblättert und dann überlegt. "Ich habe jedes Mal Angst, uns fällt nichts mehr ein", sagt Berlin, "Die Wirklichkeit abbilden geht ja nicht. Wir sind ein Kommentar zu Wirklichkeit". Momentan braucht sich Berlin keine Sorgen um ausbleibende Einfälle zu machen. "Schlechte Zeiten sind gute Zeiten für Satire", erklärt er.
Gute Zeiten sind es auch für Anwälte - der Eulenspiegel wird regelmäßig verklagt. Es gibt Kanzleien, die haben sich auf so was spezialisiert", klagt Berlin, "Das ist mittlerweile ein Massensport". Auch der Presserat meldet sich des Öfteren bei ihm. "Das sind Leute, die nur stören, Steuergelder abfassen, keine Ahnung von einer Zeitung haben und keine Funktion in diesem Land". Berlin nimmt einen Schluck Weinschorle und fügt dann bedauernd hinzu: "Wenn man wenigstens in die Pressegeschichte einginge für die meisten Rügen."
"Darf Satire alles?", will der Moderator wissen. "Nee", antwortet Berlin, "Ich habe unter den Bedingungen der Diktatur geschrieben und jetzt dreizehn Jahre in der Demokratie. Früher war es der Zensor, den man umschreiben musste, heute ist es die Kasse". Ein Titelbild zum Kirchentag, die Karikatur eines katholischen Geistlichen beim Sex mit seinem Kollegen aus der evangelischen Kirche, wurde so wegen möglichen Umsatzverlusten für den Verlag verworfen. "Kopulation und Kirche geht nicht", predigt ein geläuterter Berlin und mischt sich eine weitere Weinschorle. Eins aber müsse Satire immer sein - ungerecht. "Es ist sogar die Pflicht des Satirikers ungerecht zu sein", stellt Berlin fest, "Auch wenn jemand nur einen einzigen Fehler gemacht hat, kann man nicht sagen, er ist doch ein guter Mensch, er schlägt seine Kinder nicht. Man muss ihn runterreißen. Das ist der Job." Dennoch können sich die Opfer wohl auch ein Stück weit geschmeichelt fühlen. Nicht jedermann wird im Eulenspiegel karikiert. "Satire", sagt Berlin, "muss man sich erarbeiten, um Teil von ihr zu sein."
In der DDR gehörten die Eulenspiegel-Redakteuren zu den wenigen, denen es erlaubt war, sich in ihren Beiträgen der Wahrheit anzunähern - zynischerweise weil die SED der Welt mit dem Eulenspiegel ihre Liberalität beweisen wollte. Nur zu groß werden sollte der Eulenspiegel nicht. Höhepunkt war eine Auflage von 500.000 Exemplaren. Mehr erlaubte die SED nicht, angeblich aus ökonomischen Gründen. Deswegen wurden die heiß begehrten Abonnements auch vererbt. "Immer dann, wenn jemand aus biologischen Gründen nicht mehr Abonnent sein konnte", erläutert Berlin.
Obwohl sich seine Satire zu DDR-Zeiten stets hart an der Toleranzgrenze des SED-Regimes bewegte; ernsthafte Konsequenzen musste Berlin kaum befürchten. Der Eulenspiegel war schnell zu einer gewaltigen Stimme in der DDR geworden, die auch die SED nicht ohne weiteres zum Schweigen bringen konnte. Der Eulenspiegel also ein Vorkämpfer der Meinungsfreiheit und Hartmut Berlin ganz vorne mit dabei? Der Satiriker selbst zeichnet ein nüchterneres Bild von seiner Rolle in der DDR. "Meinen Arsch haben die von der Stasi zwar unentwegt fotografiert. Aber wir waren keine gefährlichen Leute. Wir kokettierten nur damit". Als Berlin in seine Stasi-Akte sah, war er denn auch ein wenig enttäuscht. "Die war gar nicht so doll". Auf einmal verschwindet das Schelmische von seiner Miene. "Ich habe gut gelebt in dieser Gesellschaft", sagt Berlin. Seine Stimme klingt jetzt sehr ernst, sehr nachdenklich: "Ich war in keinem Widerstand. Ich war nur Satiriker."