Krisengipfel der Zeitungsmacher
Auf der Suche nach Wegen aus der schwersten Branchenkrise der Nachkriegszeit waren in der vergangenen Woche 80 Chefredakteure, Verlagsleiter und Medienwissenschaftler zu einer zweitägigen Tagung nach Leipzig gekommen.
"Wenn sich die Zeitungen gegen Radio, Fernsehen und Internet behaupten wollen, dann müssen sie sich verändern", erklärte Michael Haller, Professor der Journalistik an der Universität Leipzig und Gastgeber der Konferenz. Unter dem Motto: "Wie bringen wir was für wen?" zeigten Experten verschiedene Methoden und Erkenntnisse, wie die Tageszeitung zukunftsfähig zu machen sei. Auf großes Interesse stießen neue Verfahren zur Ermittlung des Leseverhaltens: Ein vom Hamburger Marktforschungsinstitut ISN gemeinsam mit Professor Haller entwickeltes Verfahren kann Schwachstellen in der Aufmachung zeilengenau nachweisen. Und ein von der Schweizer Imboden Consulting entwickelter Lesestift registriert - der Einschaltquote beim Fernsehprogramm vergleichbar - mit hoher Präzision, ob und wie weit ein Bericht überhaupt gelesen wurde. "Die Redaktion sieht schon am nächsten Tag, welche Themen und Texte die Leute interessiert haben", erläuterte Imboden.
Wie man Leserinteresse wecken könne, war eine der Kernfragen der Tagung. Denn die Leserzahlen fast aller Regionalzeitungen gehen seit Ende der Neunziger Jahre zwischen zwei und vier Prozent per Jahr zurück. Besonders die unter 30-Jährigen greifen immer weniger zur Zeitung. Parallel dazu schrumpfen die Einnahmen für Werbung dramatisch.
Ein weiterer Tagungsschwerpunkt galt der Frage, wie Zeitungsredaktionen lernen können, ihr Angebot attraktiver und interessanter zu machen. Ein am "Institut für Praktische Journalismusforschung" entwickeltes Benchmark-Programm offenbarte bei den untersuchten Regionalzeitungen zum Teil erhebliche Defizite im Angebot. Die Redaktionsleiter zweier Zeitungen berichteten, wie sie die ermittelten Defizite und Mängel ausgeräumt haben. Die eine Zeitung führte einen Relaunch durch, die andere unterzog ihre Lokalredaktionen einem intensiven Training - mit großem Erfolg, wie deren Chefredakteur hervorhob: Themenfindung, Rechercheeifer und Textqualität seien deutlich gestiegen. In der Folge seien auch die Zeitungsleser aktiv geworden. Mit Zuschriften, Anrufen und Emails würden sie sich für die Blattmache interessieren - ein deutlicher Hinweis, dass die Leser-Blatt-Bindung wieder steige.
"Die Zeitung ist in der Wahrnehmung der Konsumenten noch immer das glaubwürdigste Medium. Dieses Image muss die Branche halten und ausbauen", betonte Haller. Allerdings habe sich in krisenfreien Jahrzehnten auch Bequemlichkeit und Routine eingeschlichen. So gebe es immer noch viele Zeitungen, deren Redaktion schon um 18 Uhr das Blatt zumache oder ihren Lesern zu wenig selbst recherchierte Hintergrundinformationen lieferten. Letzteres sei besonders im Wettbewerb mit dem Fernsehen fatal, da "der Leser morgens im Detail verstehen will, was er am Vorabend nur flüchtig in der Tagesschau gesehen hat." Wenn ihm seine Zeitung dies nicht biete, verliere sie an Bedeutung.
Dass nicht nur die Steigerung der journalistischen Qualität, sondern auch Unternehmergeist und Risikobereitschaft dazu beitragen können, die Krise zu überwinden, berichteten die Chefredakteure der Lausitzer Rundschau und der Welt. Peter Stefan Herbst und Jan-Eric Peters präsentierten ihre im Frühjahr neu auf den Markt gebrachten Zeitungsprojekte "20 cent" und "Welt kompakt". Diese sind kleinformatiger und zugespitzter in der Informationsvermittlung als herkömmliche Zeitungen und sprechen ein mobiles, junges Publikum an. Beide Neuentwicklungen - so Peters und Herbst - seien trotz der Krise erfolgreich.
Zu der Tagung, an der Führungskräfte aus mehr als 60 deutschen, österreichischen und Schweizer Zeitungshäusern teilnahmen, hatte das Leipziger Institut für Praktische Journalismusforschung eingeladen. Das Institut ist ein Gemeinschaftsprojekt der Universität Leipzig, der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig und der Sparkassen-Versicherung Sachsen.
Institut für Praktische Journalismusforschung
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