Everth-Stipendium

Die Medienstiftung der Sparkasse Leipzig vergibt jährlich leistungsorientierte Stipendien an die Studierenden der Universität Leipzig/Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft :

2008: Julia Wöhrle
2007: Simona Vogel
2006: Sebastian Döring und Stine Eckert
2005: Vivien Fick und Geraldine van Gogswaardt
2004: Jana Randow und Stefanie Woska
2003: Sarah Plass, Katja Streso und Fabian Löhe
2002: Aksinja Berger und Pierre Gehmlich
2001: Steven Geyer und Michael Naumann

Erich Everth (1878-1934)

Auf den zeitungskundlichen Lehrstuhl wurde zum 1. November 1926 der 48-jährige Journalist und promovierte Kunsthistoriker Erich Everth berufen, ein ehemaliger Schüler von Max Dessoir. Everth hatte gut 17 Jahre lang als Redakteur in leitenden Positionen bei verschiedenen Blättern gearbeitet: zunächst bei der "Rheinisch-Westfälischen Zeitung" in Essen, später, noch während des Ersten Weltkrieges und damit zur Zeit der Institutsgründung, als Chefredakteur der "Leipziger Volkszeitung" sowie zuletzt als Wiener Korrespondent des "Berliner Tagblatts" - die Titel der Zeitungen signalisieren seinen politischen Orientierungswandel zum Liberaldemokraten. Auf Grund seiner beruflichen Herkunft gehörte Everth mithin zu jenem, in der ersten Hochschullehrer-Generation der Zeitungskunde ausgeprägt repräsentierten Typus, der aus der publizistischen Praxis in die Wissenschaft gewechselt war und dort eine praktizistische Perspektive förderte. Doch ganz anders als die Vertreter dieses Fachverständnisses erwies sich Everth als theoretischer Kopf. Obwohl er bis zu seiner Berufung mit fachlichen Publikationen nicht hervorgetreten war, kannte er das Dilemma der Zeitungskunde in Leipzig und an anderen Universitäten sehr genau. Er betrachtete es deshalb als seine Aufgabe, dem Fach ein eigens erkenntnistheoretisches und methodologisches Fundament zu verschaffen und dadurch Anerkennung als selbstständige wissenschaftliche Disziplin.

In seiner Antrittsvorlesung und bald darauf in weiteren Beiträgen entwickelte er eine – für die zeitgenössische Zeitungskunde völlig untypische - funktionale Perspektive. Im Zentrum seines Erkenntnisinteresses standen nicht typologische Phänomene oder die Darbietungsformen der Zeitung, sondern die gesellschaftliche Funktion der Zeitung, die er als "Vermittlung" bezeichnete. Durch ihre "Vermittlungsfunktion" befriedige die Zeitung im öffentlichen Leben soziale und wirtschaftliche Bedürfnisse. Sie stelle "Verbindungen her zwischen der Welt und dem Einzelnen (...) und zwar hin und her"; die Zeitung bilde "eine Sozialform in sich, die mit allen anderen gesellschaftlichen Institutionen in mannigfacher Wechselwirkung" steht, formulierte Everth in seiner Antrittsvorlesung. In bewusster Absetzung von Karl Bücher orientierte sich Everth sehr eng an der Psychologie und der Soziologie, insbesondere an Leopold von Wieses Beziehungslehre, und konzipierte die Zeitungswissenschaft in erkenntnistheoretischer und methodologischer Hinsicht als eine Integrationsdisziplin, die keine eigene Methode besitzt, für die vielmehr "eine ganze Reihe von Methoden verschiedener Wissenschaften nötig sind, um das ganze Gebiet erschöpfend zu bearbeiten".

Gleichwohl vertrat Erich Everth eine - sehr zeittypische - medienzentrierte Fachperspektive. Die Entgrenzung des Materialobjektbereichs der Zeitung, die von Büchers ehemaligen Famulus Karl Jäger schon 1927 in der Programmschrift "Von der Zeitungskunde zur publizistischen Wissenschaft" mit Verweis auf die publizistischen Wirkungen als zentralem Erkenntnisziel des Faches eingefordert wurde, war in Everths Ansatz theoretisch durchaus angelegt.

Ganz im Gegensatz zu Karl Bücher war für Everth die Ausbildungsfunktion der Zeitungskunde für den Journalismus von nachrangiger Bedeutung. Im ersten, 1928 gedruckten Studienführer nannte er als primäre Aufgabe seines Instituts vielmehr "die wissenschaftliche Durchdringung der Zeitungskunde", und, zweitens, als praktische Konsequenz, die Ausbildung eines wissenschaftlichen Nachwuchses für die "weitere Arbeit am Ausbau der Disziplin". Die darüber hinaus von der Zeitungskunde zu erbringende Berufsvorbereitung für den Journalismus sah er hauptsächlich in der Ausbildung eines systemkritischen Journalisten, dem er "Kenntnisse über das Zeitungswesen (...), die zur richtigen Auffassung und Beurteilung (der) künftigen Arbeit" anleiten, vermitteln wollte.

Erich Everth wurde im April 1933 aus politischen Gründen zwangsbeurlaubt, nachdem er im Februar zuvor - als einziger Zeitungswissenschaftler - in einer öffentlichen Veranstaltung die Notverordnungen und die Presseverbote des neuen nationalsozialistischen Regimes kritisiert hatte. Nur ein Jahr darauf verstarb er Ende Juni 1934 in Leipzig. Sein in kaum mehr als sechs Jahren entstandenes publizistisches Werk blieb weitgehend ein Programm, zumal er dessen vielfältigen Aspekte auch nicht in den insgesamt 46 von ihm betreuten Dissertationen wissenschaftlich umsetzen ließ.

Die nationalsozialistische Machtergreifung brachte 1934 dem damals 33-jährigen Berliner Zeitungswissenschaftler Hans Armandus Münster auf den Lehrstuhl von Erich Everth.

Prof. Dr. Arnulf Kutsch (Leiter der Abteilung Historische und Systematische Kommunikationswissenschaft am Institut für Kommunikations- und Medienforschung der Universität Leipzig.)

(Die Stipendien werden auf Vorschlag der jeweils zuständigen Institute bzw. Hochschullehrer vergeben. Eine direkte Bewerbung bei der Medienstiftung ist nicht möglich.)